Rosenheimer Hagelabwehr:Einmal bitte die Wolken impfen

Rosenheimer Hagelabwehr: Mit Käthi steuert Georg Vogl immer die Stellen an, wo andere Flugzeuge lieber einen Bogen drumherum fliegen.

Mit Käthi steuert Georg Vogl immer die Stellen an, wo andere Flugzeuge lieber einen Bogen drumherum fliegen.

(Foto: Christian Endt)

Georg Vogl hat als Pilot der Hagelabwehr in der Luft schon viel erlebt - auch ausfallende Motoren und eine Notlandung. Er fliegt dennoch weiterhin mitten in die Gewitterfront. Warum er und seine Kollegen sich das antun.

Von Johannes Korsche

Zum vereinbarten Treffen kommt Georg Vogl natürlich mit Käthi angeflogen, fünf Minuten überpünktlich setzt die Partenavia-Maschine auf der Landebahn in Vogtareuth nördlich von Rosenheim auf. Wären Passagiere an Bord, sie hätten bei der sanften Landung wahrscheinlich geklatscht - sieben Sitze bietet der Propellerflieger - aber an Bord ist Vogl in der Regel alleine. Vielleicht liegt es an den Orten, die er mit Käthi ansteuert: immer die Stellen, wo andere Flugzeuge lieber einen Bogen drumherum fliegen, immer direkt in die unterste Schicht von Gewitter- und Unwetterwolken.

Vogl ist Pilot und Leiter der Rosenheimer Hagelabwehr, er erzählt von einem seiner letzten Einsätze: "Da waren die Turbulenzen so stark, dass der Flieger überall hingeflogen ist, nur nicht dahin, wo man hingelenkt hat." Trotzdem sei jener Samstag ein ganz normaler, ein "typischer" Einsatz gewesen. Vogl hat schon viel gefährlichere Situationen in der Luft erlebt, oder besser: überlebt.

Seit Anfang der 1980er Jahre fliegt Vogl schon für die Hagelabwehr, mehr als 2000 Einsatzstunden habe er in der Luft verbracht, sagt er. Vor vielen Jahren kreiste er mit einer einmotorigen Maschine, einer Vorgängerin der jetzigen Flugzeuge, über dem Ebersberger Forst. Während eines Übungsflugs fiel plötzlich der Motor aus. Bei einer einmotorigen Maschine - noch dazu in den Unwetterwinden. "Das war das einzige Mal, dass ich einen Notfall ausgerufen habe", sagt Vogl mit jener Ruhe in der Stimme, die man wahrscheinlich in so einer Situation braucht.

Der Fluglotse, mit dem er auf seinen Notfall-Funk hin gesprochen habe, sperrte erst mal großzügig den Luftraum. "Da habe ich gemerkt, wie fit die Lotsen wirklich sind." Er bugsierte das antriebslose Flugzeug zum Flughafen München-Riem. "Mit dem letzten Rest der Batterie hab ich dann das Fahrwerk rausgelassen." Vogl landete sicher. Als es dann darum ging, neue Flugzeuge für die Hagelabwehr anzuschaffen, "gab es dann den Spruch: Wir lassen den Fallschirm weg und nehmen dafür einen zweiten Motor." Bei Käthi dreht sich links und rechts der Kabine je ein Propeller. Falls doch mal was sein sollte, vertraut Vogl auf die geringe Wahrscheinlichkeit, dass beide Motoren und damit auch Propeller gleichzeitig defekt sind: "Der rechte Motor weiß schließlich nicht, dass der linke ausgefallen ist."

Die beiden Propellermaschinen der Hagelabwehr - neben Käthi steht noch Hannelore in der Vogtareuther Garage - fliegen in der Saison um die 25 Mal ins Gewitter. Sie waren zum Beispiel bei den starken Unwettern Ende Juni über Ebersberg im Einsatz. Damals hagelte es stellenweise und es prasselten bis zu 35 Liter pro Quadratmeter in einer Viertelstunde hinab. Da kann dann auch Vogl nicht mehr viel machen. Denn den Niederschlag selbst verhindert die Hagelabwehr nicht. Im besten Falle prasseln aber keine Hagelkörner, sondern nur Regentropfen auf die Maisfelder und Autodächer.

Die Spuren der Hageleinschläge sieht man auch an den Flugzeugen. An der vorderen Seite der Tragfläche ist Käthis Festgummi zerbeult, Hannelores Schnauze hat auch schon was abbekommen. Zum Glück seien sie "gutmütige Flugzeuge", die einiges verzeihen, sagt Vogl. Das müssen sie auch, wenn man bedenkt, wo Vogl seine Flugzeuge hinsteuert. Direkt hinein in die Gewitterfront.

Um zu verstehen, warum die Piloten sich das und ihren Flugzeugen antun, hilft ein kleiner Exkurs in die Meteorologie. "Bei jeder Wolke wird die Feuchtigkeit von unten in die Höhe gezogen", sagt Vogl. Dafür muss es unten warm sein, die Thermik transportiert dann die Luft mitsamt Wassertröpfchen nach oben. Bei Hagelwolken besonders stark, bis zu 13 Kilometer trägt der Aufwind die Wolkentropfen in die Höhe. "Da können Sie auch einen Ziegelstein fallen lassen und der fliegt nach oben", sagt Vogl halb ernst, halb im Scherz. Je höher es die Luft trägt, desto kälter wird es. Kalte Luft kann nicht so viel Feuchtigkeit binden wie warme Luft. Es entstehen Wolken. Geht man noch höher, gefriert manches Wassertröpfchen, an die Spitzen der Eiskristalle hängen sich die nicht gefrorenen Wolkentröpfchen dran, vier Millionen davon bilden einen normalgroßen Regentropfen. Ist der Aufwind stark genug, treibt es die Tropfen auch in Höhen, wo sie gefrieren: Es entstehen Hagelkörner.

Aber selbst die stärksten Aufwinde reichen irgendwann nicht mehr aus, um die größer und größer gewordenen Hagelkörner und Regentropfen in der Höhe zu halten. Die Gravitation zieht die Eis-Wasser-Tropfen nach unten. Auf diesem Weg zum Boden entscheidet sich, ob Eis oder Wasser im Garten ankommt. Denn oft schmelzen die Eiskörner beim Fallen noch. Nur wenn sie dafür zu groß sind, kommen unten Hagelkörner an. Und da setzt die Hagelabwehr an. Ziel ist es, den Wassertropfen möglichst viele Partikel in der Wolke bereitzustellen, so dass sie sich auf Tropfen verteilen können. Die einzelnen Eiskörner bleiben auf diese Weise so klein, dass sie beim Fallen schmelzen. Aber: "Die Menge Wasser bleibt gleich", erklärt Vogl. Wahrscheinlich ist das wie bei einem Zehn-Liter-Bierfass: Ob es für die Feier ausreicht, hängt von der Gästezahl ab, auf die es sich verteilt.

Das Kernstück der Hagelabwehr hängt wenig aufsehenerregend an den Enden der Tragflächen. Auf den ersten Blick ist es nur ein etwa anderthalb Meter langes, silbernes Rohr. In der Mitte des Rohres ist ein Tank für etwa 15 Liter, darin: Silberjodid. Eine Mischung aus Aceton, das mit sechs Prozent Silber versetzt wurde. Im Flug verbrennt das Gemisch mit Temperaturen von bis zu 1200 Grad. Am Ende des Rohrs kommt der Rauch raus, wie beim Auspuff. Damit die Rauchpartikel dort ankommen, wo die Wolkentröpfchen zu Regen und Hagel werden, muss Vogl direkt zur Wolkenbasis fliegen. Etwa 500 bis 2500 Meter über dem Boden. Der Rauch steigt also mit der Feuchtigkeit auf. Die Wolke bekommt so "künstliche Kondensationskeime", erklärt Vogl. Die "Wolken impfen", nennen sie das.

Und, so ist es ja immer in der Medizin, dabei spielt die Dosis eine entscheidende Rolle. Für die passende Portionierung haben Vogls Flieger-Kollegen Stefan Krichbaumer und Andreas Huber etwas erfunden. Vorne, wo sich das Rohr wie ein Rollerauspuff verjüngt, sitzt ein kleiner Stift, der die Umgebung während des Fluges misst: Wie stark geht der Wind, wie hoch ist der Luftdruck? "Dann regelt das selbst, wie viel Silberjodid verbrannt werden muss", sagt Krichbaumer, das Prinzip sei letztlich wie beim Vergaser eines Mopeds, der die Zusammensetzung des Gemisches regelt. Zwischen drei bis acht Liter verbrennt der Silberjodid-Generator in einer Stunde. "Das sind die weltweit am weitesten entwickelten", sagt Vogl. Früher habe die Hagelabwehr immer die gleiche Menge Silberjodid verbrannt, vollkommen egal, ob das für die Wolken zu viel oder zu wenig war.

In diesem Jahr hat die Rosenheimer Hagelabwehr schon mehr als 600 Liter Silberjodid verbrannt, überschlägt Vogl. Sehr viel. Nicht aber, weil Vogl und seine Kollegen öfter Einsätze fliegen. Diese Zahl bewege sich bisher nicht auffällig nach oben. Die Flüge dauern aber immer länger, sprich: Die Unwetter werden heftiger. "Heuer war das erste Mal, dass der Silberjodid-Tank nach einem Einsatz komplett leer war." In dem etwa 4 800 Quadratkilometer großem Einsatzgebiet habe es früher alle zehn, vielleicht 15 Jahre mal ein Hagelunwetter gegeben, wie es dieses Jahr schon drei, vier Mal über das Voralpenland gezogen ist. Auch über den Ebersberger Landkreis, zum Beispiel Ende Juni. "Das war mein erster Tag nach dem Urlaub, da kommt man dann gleich wieder richtig rein."

Was das für ein Gefühl sei, auf eine Gewitterfront zuzufliegen? "Ich sehe das sportlich." Schließlich gehe es darum, "zur richtigen Zeit, mit der richtigen Menge Silberjodid an der richtigen Stelle zu sein". Um rechtzeitig am idealen Ort die Generatoren an den Tragflächen zu zünden, arbeitet die Hagelabwehr seit einigen Jahren mit der Technischen Hochschule Rosenheim zusammen. Gemeinsam entwickelte man ein GPS-System, das die Radarbilder der Wolken nahezu in Echtzeit auf einen Display ins Cockpit funkt. Denn "was ich da oben sehe, kann täuschen." Auch mit jahrelanger Erfahrung. Da denkt man, die Feeder-Wolke erwischt zu haben - dabei ist die entscheidende Wolke schon wieder ein paar Kilometer weiter gezogen. Schließlich wehen dort, wo Vogl fliegt, so starke Winde, dass er auch mal die Motoren ausmacht - und trotzdem mit bis zu 300 Stundenkilometer durch die Luft rast. Zum Glück nicht nach unten, so wie einst über dem Ebersberger Forst.

Die Einsätze der Rosenheimer Hagelabwehr lassen sich live und nachträglich mit den kostenlosen Apps "Ro-Berta Hagelabwehr" (Android) und "Hagelabwehr Rosenheim" (Apple) verfolgen.

ERSCHIENEN IN DER SZ VOM 11. SEPTEMBER 2021

Zur SZ-Startseite

SZ PlusEbersberger Forst
:Blick in den Abgrund

Wer hat wann und warum einen elf Meter tiefen Brunnen mitten in den Wald gebaut? Am Tag des offenen Denkmals geben Spezialisten an 31 besonderen Orten Einblicke in die Geheimnisse, Sagen und Mythen des Ebersberger Forsts.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: