Richter verlässt Ebersberg:"Manche Strafen hätte ich am liebsten gar nicht verhängt"

Peter Hayler hat in den Strafverfahren am Amtsgericht die menschliche Seite der Justiz entdeckt, nun kehrt er ans Landgericht in München zurück.

Im Juli 2010 kam Peter Hayler als Richter ans Ebersberger Amtsgericht. Zunächst sollte der Münchner dort nur für ein Jahr eine Kollegin vertreten, die im Mutterschutz war, doch der 41-Jährige blieb dann fast die doppelte Zeit in der Kreisstadt. Am gestrigen Donnerstag verhandelte Hayler ein letztes Mal in Ebersberg, kommende Woche wird er an seine alte Wirkungsstätte das Landgericht München II zurückkehren. Wie haben Sie Ihre Zeit als Amtsrichter in Ebersberg erlebt? Zunächst war das für mich eine große Umstellung, denn in München habe ich ausschließlich Zivilsachen verhandelt. Da ist der Sachverhalt oft sehr leicht zu klären, wesentlich komplexer ist hier jedoch die Frage, wie der Fall rechtlich zu behandeln ist. Im Strafrecht liegt dagegen das Schwergewicht mehr auf dem Tatsächlichen. Die Frage ist also, welchen Sachverhalt man aus der Verhandlung herausfiltern kann, und ob man dem belastenden Zeugen oder dem Angeklagten glaubt. Als Zuschauer fragt man sich oft, wenn Aussage gegen Aussage steht, wem man nun glauben soll. Geht das dem Richter auch manchmal so? Ja, das ist mir in Ebersberg sogar mehrmals so gegangen. Da habe ich mich dann damit getröstet, dass es immer noch die Möglichkeit gibt, Berufung einzulegen, weil manchmal ist die Entscheidung wirklich sehr schwierig. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Anklage wegen Betruges. Der Angeklagte hatte ein derart überzeugendes und glaubhaftes Auftreten, dass ich daran zweifelte, ob er wirklich schuldig war. Dann hat mich aber der Blick ins Bundeszentralregister skeptisch gemacht, denn darin fand ich eine Latte von Voreintragungen wegen Betruges. Gibt es einen Fall, über den sie selbst verblüfft waren, weil er besonders kurios oder ungewöhnlich war? Das war in dem gleichen Betrugs-Fall: Da hat der Anwalt eine Unterbrechung beantragt, weil er mit dem Angeklagten zur Post gehen wollte, um den Postbeamten als Zeugen dafür zu befragen, dass der Angeklagte die Ware wirklich geschickt hat. So etwas wäre in München unmöglich gewesen. Werden Sie solche Kuriositäten am Landgericht vermissen? Auf jeden Fall. Und ich werde auch den unkomplizierteren Umgang mit den Strafverteidigern vermissen. Hier ist alles ein bisschen familiärer, nicht so anonym wie in der Großstadt, ein bisschen menschlicher. Warum bleiben Sie dann nicht hier? Ich möchte nicht ausschließen, dass ich noch einmal zurückkomme. Aber ein großes Problem ist für mich immer diese lange Anfahrt. Da ich im Münchner Westen wohne, verliere ich zwischen zwei und drei Stunden jeden Tag, auch wenn ich in der Bahn noch Akten lesen kann. Aber ich muss wirklich sagen, ich gehe mit einem weinenden Auge, auch weil ich mich hier mit den Kollegen sehr gut verstanden habe. Es war wirklich schön, und eine tolle Erfahrung. Auch die Zusammenarbeit mit der Presse war sehr interessant. Sind die Lokaljournalisten lästig? Ganz im Gegenteil, diesen Kontakt werde ich vermissen. In der Stadt ist man einer unter Vielen, da steht man lange nicht so im Rampenlicht. Das große Interesse hat mich etwas überrascht, aber es hat mir auch geschmeichelt, dass ich so oft in der Zeitung stand. Ich habe mir von der Geschäftsstelle die Artikel aus den Zeitungen sammeln lassen, mittlerweile habe ich einen Schuhkarton voll. Meine Kinder haben sich darüber sogar noch mehr gefreut als ich, da konnten sie sehen, was ich den ganzen Tag mache. Gab es auch Fälle, in denen Sie dachten: "Vom Gesetz her müsste ich den Angeklagten verurteilen, aber eigentlich tut er mir leid. . . "? Es gab sogar mehrere Fälle, in denen mir Bedenken gekommen sind, ob die Mittel des Strafrechts die richtigen sind, um eine Lösung zu finden. Vor allem wenn man den finanziellen und sozialen Hintergrund sieht. Es war für mich auch eine wichtige Erfahrung, zu sehen, mit wie wenig Geld viele Menschen auskommen müssen. Da kann man manchmal die Gründe erkennen, die einen Menschen als Angeklagten vor Gericht geführt haben. Etwa wenn jemand zu seiner Arbeitsstelle fahren wollte, aber der Arbeitgeber die Kosten nicht übernimmt. Dann fährt er schwarz und kriegt dafür dann im Verhältnis zu dem, was er verdient, eine Strafe, die drei oder mehr Monatseinkommen entspricht, das fand ich grausam. Das sind so Fälle, wo ich nach dem Gesetz gehalten war, eine entsprechende Strafe auszusprechen, die ich am liebsten nicht verhängt hätte. In manchen anderen Fällen habe ich auch versucht, beide Augen zuzudrücken, aber da ist dann meistens von der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt worden. Gibt es einen Fall, den Sie am liebsten gar nicht verhandelt hätten? Ein Fall, der für mich menschlich sehr schwierig war, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Das war ein Familienvater, der ohne Führerschein gefahren ist, weil er seine kranke Tochter besuchen wollte, und dabei in einschlägiger offener Bewährung gehandelt hat. Da ist es vom Gesetz her unumgänglich, eine Vollzugsstrafe zu verhängen. Wenn man aber einen Menschen, der in gesicherten Verhältnissen lebt, eine Arbeit und Familie hat, wegen Verkehrsdelikten aus seinem sozialen Gefüge herausreißt, das fällt extrem schwer. Ich habe gesehen, wie der Mann nach dem Urteil in sich zusammengesackt ist, und sein Anwalt ihn geradezu psychologisch betreuen musste. Das fand ich sehr schlimm. Bleiben Sie dem Strafrecht treu, oder werden Sie wieder ins Zivilrecht wechseln? Ich werde wieder Zivilrichter, aber ich muss sagen, dass ich hier schon ein bisschen meine Liebe zum Strafrecht entdeckt habe. Weil die Verhandlungen näher am Menschen sind. Manche Fälle waren unterhaltsam, andere waren erschütternd, aber es ist immer sehr viel Menschliches im Mittelpunkt. In den Zivilsachen am Landgericht ist es sehr oft ein reiner Anwaltsprozess, und es geht meistens "nur" um Geld. Da steht der einzelne Mensch nicht so im Vordergrund. Interview: Wieland Bögel

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