Requisiten:Die Fassadenfabrik

Den Münchnern ist keine Opernkulisse mehr aufwendig genug. Ein kleines, leidenschaftliches Team in Poing stößt so regelmäßig an seine Grenzen

Von Victor Sattler, Poing

Nur einen Fingerbreit, zeigt Mathias Kaschube, schien die Erweiterung des Lagergeländes der Bayerischen Staatsoper noch entfernt, als er vor 20 Jahren seinen Posten antrat. Erst jetzt, spät im Jahr 2017, wird der dringend gebrauchte Ausbau in Poing Realität. Ein Fingerbreit - man will ihm glauben, wenn er seinen Daumen und Zeigefinger so nah aneinander hält, immerhin kann dieser Mann es sich nicht leisten, inexakt zu sein: Täglich meistern er und sein Team einen Slalomlauf zwischen präziser Miniaturarbeit und hochragenden Stahlmonumenten - danach müssen alle Bühnenteile in zentimetergenau bemessene Gitterboxen passen, sonst kämen sie nie in München an. Mathias Kaschube ist Werkstattleiter für eine Fabrik der schönen Dinge, "mitten in der hässlichsten Gemeinde", wie er Poing frech betitelt.

Requisiten: Die Bühnenausstattungen müssen genau in käfigartige Baukästen passen.

Die Bühnenausstattungen müssen genau in käfigartige Baukästen passen.

(Foto: Christian Endt)

Dabei ist das optische Erscheinungsbild der Gemeinde bei weitem nicht Kaschubes größtes Problem, daran hat er sich gewöhnt. Der Betrieb ist ja seit den sechziger Jahren hier angesiedelt, lag damals noch in der Einöde, erst nach und nach wuchs das Gewerbegebiet außen herum. Nein, die dringend nötige Expansion der Lagerfläche - bisher weder begonnen noch ausgeschrieben -, macht ihm Sorgen. Aber es gibt noch einen Engpass, und Kaschubes Stirn legt sich in Falten, wenn er darüber nachdenkt: Schreinerei und Schlosserei stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen, sie seien den vielen Aufträgen nicht mehr gewachsen, erklärt er. Es ist schlicht zu wenig Poinger Raum für zu viel Münchner Zeitgeist. "Früher waren die meisten Kulissen noch gemalte Prospekte, der Malersaal war die wichtigste Halle hier", erinnert sich Kaschube. "Heute kann das den Zuschauer nicht mehr befriedigen. Malen ist reines Anstreichen geworden, und bei den Schlossern gilt: Je größer, je aufwendiger, desto besser."

Requisiten: Die Requisitenwerkstatt in Poing ist Zulieferer für die großen Münchner Theater.

Die Requisitenwerkstatt in Poing ist Zulieferer für die großen Münchner Theater.

(Foto: Christian Endt)

Deutlich wird diese Prioritätenverschiebung in der Endfertigungshalle, wo alle fünf Gewerbe - Schlosser, Schreiner, Plastiker, Ausstatter und Maler, in dieser Reihenfolge - zusammenkommen und alles harmonisch funktionieren muss. "Die Maler sind die letzten, die beißen die Hunde", sagt Kaschube. Das Projekt, das hier gerade steht, ist dem Maschinenbau näher als der Malerei. Die Schlosser stemmen ihre Hände in die Hüften, sie beschützen ihr Baby vor dem öffentlichen Auge, als würden sie schnell eine Decke über zehn Meter hohen Stahl werfen wollen. Denn: Vor der Premiere am 26. Oktober darf niemand Form, Gestalt oder Funktion des gigantischen Gerüsts für die Aufführung der Mozartoper "Le Nozze di Figaro" in München kennen. Die Arbeiter, die zwischen den Streben hängen und mit ihren Schweißgeräten glühende Funken versprühen, sind ein eingeschweißtes Team, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Personal aus etwa 65 Angestellten sei in 35 Jahren nicht mehr geworden, so Kaschube, viele sind für den Job nach Poing gezogen.

Requisiten: Kleinere Requisiten bereiten beim Transport kaum Probleme.

Kleinere Requisiten bereiten beim Transport kaum Probleme.

(Foto: Christian Endt)

Aber Moment, Funken in einer Montagehalle? "Wir müssen oft in der Endfertigungshalle noch schweißen, weil wir in der Schlosserei in Bedrängnis kommen", erklärt der Werkstattleiter. "Das ist nur so halb-legal." Auch in der lichtgefluteten und nach Holz duftenden Schreinerei könne man die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände der Maschinen kaum mehr einhalten. Schon muss sich Kaschube für den nächsten Anruf entschuldigen: "Du willst das umgestrichen kriegen?", fragt er ins Smartphone. Last-Minute-Wünsche gehörten hier zum Alltag, erklärt er, im schlimmsten Fall komme das Bühnenbild sogar während laufender Proben nochmals in seine Geburtsstätte Poing zurück. "Aber manchmal muss man der Oper auch sagen dürfen: Das geht einfach nicht mehr", seufzt Kaschube.

Requisiten: Der sichere Transport nach München muss genau vorbereitet werden.

Der sichere Transport nach München muss genau vorbereitet werden.

(Foto: Christian Endt)

Da die 44 Opern- und Theaterhäuser im Kundenregister der Werkstatt auch nach der Dernière an ihren Kulissen festhalten wollen, um sich ein großes Repertoire zu erhalten, platzten die zwei Lagerhallen aus den 1960ern mit ihren je drei Ebenen bald aus allen Nähten. Manches lagerte zwischenzeitlich auf alten Bauernhöfen von Dachau bis Neufarn. Die dritte Lagerhalle, die nun endlich entstehen, aber laut Beschluss der Gemeinde Poing nur sechs statt sieben Ebenen haben soll, um das bis dato höchste Gebäude nicht zu überragen, werde vor allem eine finanzielle Erleichterung für die Staatsoper darstellen. "Die dritte Halle war notwendig, weil sie bares Geld für das Budget der Oper bedeutet. Die muss jetzt nicht mehr aufs Anmieten von Hallen ausweichen", erklärt Kaschube die einfache Rechnung. Vieles werde dadurch besser: Dank dem System der "Container, die keine Container sind", sondern offene Gitterboxen, sei die Transportfähigkeit garantiert, eine einzelne Person könne eine Gitterbox mit dem Laster in die Innenstadt bringen und an der Apparatur der Staatsoper abliefern, die das Gegenstück bildet und die Box dann auf Bühnenhöhe hebt. Dafür muss aber weiterhin jede noch so extravagante Kulisse in ihre Einzelteile zerlegbar bleiben. Außerdem muss der Zugang der Laster zu den Lagerhallen sichergestellt werden; eine Voraussetzung, der ein angedachter Werkstattsausbau, wie er nötig werden könnte, in die Quere käme.

Requisiten: Mathias Kaschube, Werkstattleiter für die Bayerische Staatsoper.

Mathias Kaschube, Werkstattleiter für die Bayerische Staatsoper.

(Foto: Christian Endt)

Kaschube genießt zwar das rege Treiben, das Koordinieren all der Einzeldisziplinen, aber er bringt auch seine Bedenken mit Nachdruck zur Sprache. Wenn hier im Herbst oder Winter endlich gebaut wird, seien noch lang nicht alle Probleme aus der Welt. In einer fernen Zukunft könne er sehen, wie die Münchner Kulturbetriebe viel besser haushalten könnten als das heute der Fall ist: Indem man die Werkstätten der Staatsoper, des Residenztheaters und des Staatstheaters am Gärtnerplatz alle drei auf einer neuen Fläche zusammenlegte - selbst wenn das für den Bühnenbau in Poing das Ende bedeuten würde. "Sind ja schließlich alles Steuergelder", fügt er leise hinzu. Aber die Intendanten pochen auf eigene Schmieden, in denen ihren Inszenierungen die maximale Aufmerksamkeit zu Teil werde - wo sie diese zumindest nie mit viel mehr als zwei anderen Inszenierungen teilen müssten. Die Angst vor einer Theater-Massenware vom Fließband überwiegt die logistischen Vorteile in einem so rasant wachsenden Ballungsraum wie München. "Ein Intendant macht sich keinen Namen damit, dass er eine große, funktionierende Werkstatt einrichtet", hält Kaschube fest. "Die Öffentlichkeit interessiert sich ja nicht wirklich für die Fabrikation." Lange nachsinnen kann Kaschube darüber aber nicht, denn es erreicht ihn der nächste Anruf: "Also das wird die verheerendste Deko der nächsten 20 Jahre", sagt Kaschube aufgeregt zum Gesprächspartner. "Da können wir jedes Mal, wenn wir das aufbauen, wieder von vorn mit dem Streichen beginnen."

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