Reportage aus Vaterstetten:Diese Frauen sind gut im Tritt

fußtritt

Coach Dieter Orth mit Sarah Knopf.

(Foto: Michaela Pelz)

Beim Selbstverteidigungskurs der Dirndlschaft Vaterstetten werden Mädchen und junge Frauen trainiert. Es geht um Stimme, Haltung - und um Beinarbeit.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

"Ichi! Ni! San!" schallt es durch den Raum des OHA! Vaterstetten. Und obwohl die Worte den Allermeisten wahrscheinlich alles andere als vertraut sind, springen die 30 Teenagerinnen und jungen Frauen im Takt der von Trainer Dieter Orth gebrüllten Zahlen so synchron in den Ausfallschritt, als hätten sie es monatelang geübt. Die Lippen zusammengepresst, die Augen verengt, lassen sie gleichzeitig die Fäuste mit einer energischen Drehung nach vorne schnellen. Kein Vergleich zu dem kichernden Haufen 13- bis 25-jähriger, der sich noch eine Stunde zuvor leicht verlegen um das blau-rote Mattenviereck geschart hatte.

Gekommen sind die Schülerinnen, Studentinnen und Auszubildenden zu dem kostenlosen Selbstverteidigungskurs unter dem Motto "Die Nacht gehört uns!" auf Einladung der Dirndlschaft Vaterstetten und der Jungen Union, deren Ortsvorsitzender Florian Pöhlmann bedauert, dass "das überhaupt ein Thema ist - alle sollten glücklich beim Weggehen sein!"

Eine schwere Straftat hat bisher zum Glück keine von ihnen erlebt - belästigt wurde die eine oder andere allerdings schon, und fast alle kennen das unwohle Gefühl beim abendlichen Nachhauseweg mit dem Fahrrad. Darum wünschen sie sich von Karatetrainer Orth praktische Tipps für den Ernstfall. Die liefert ihnen der Zornedinger - allerdings erst, nachdem er einige wesentliche Punkte deutlich gemacht hat. Einer davon: Auf die Haltung kommt es an! Die innere und äußere.

Nur sieben Prozent der Außenwirkung einer Person wird durch das erzielt, was sie sagt, 93 Prozent kommen von Auftreten und Stimme. "Raus aus dem Opferverhalten!" Dazu gehört auch das Schreien. Um zu demonstrieren, wie man sein Gegenüber in jene Schockstarre versetzt, die dem Angegriffenen die Chance gibt, entweder zu fliehen oder sich zu wehren, stößt er unvermittelt ein animalisches Brüllen aus, das alle zusammenzucken lässt. Später wird er den Teilnehmerinnen Hausaufgabe geben, dieses Schreien zu üben, durch das sich die eigene Kraft immerhin um 25 Prozent steigern lässt. "Schreien geht gut im Auto, am besten an der Ampel!"

Manchmal reicht es schon, sich einfach dazuzustellen, zum Beispiel in der S-Bahn

Zunächst folgen aber die Gruppen- und Partnerübungen. Die anfangs zögerlichen Schläge der Mädchen und Frauen ("Sag, wenn ich dir wehtue") werden mit der Zeit immer fließender, kraftvoller - und als es darum geht, mit der Faust den weißen Kreis auf der Handpratze zu treffen oder die schwarz-roten Trittkissen mit dem Fuß zu erwischen, steckt bei manch einer schon ordentliche Entschlossenheit dahinter.

Das Einüben der ansonsten eher ungewohnten Bewegungsabläufe ist das Eine - das Wissen darum, wie und wo man einen auch körperlich überlegenen Gegner empfindlich treffen kann, das Andere. "Selbstverteidigung hat mit Schmerzen zu tun!" erläutert Orth, bevor er auf sensible Stellen wie die Sehne vor dem Ellenbogen, die Kuhle hinter dem Ohr, den Adamsapfel und das Gesicht - hier vor allem die Augen - verweist, wo man im Zweifelsfall die Fingernägel zum Einsatz bringen soll. Auch der Tipp mit dem "Tritt in die Eier - Treffer - versenkt!" darf nicht fehlen. Immer wieder zeigt er, wie man den Angreifer aus dem Gleichgewicht bringt, indem man seine Energie aufnimmt und gegen ihn verwendet oder seine ungeschützten Flanken mit den Knöcheln traktiert - etwa wenn man am Pferdeschwanz gezogen wird.

Orth, der auch BLLV-Lehrerfortbildungen anbietet und als Traumatherapeut arbeitet, sagt aber auch ganz klar, dass im Zweifelsfall Weglaufen immer noch die beste Option sei oder man versuchen solle, die Situation im Vorfeld zu entschärfen. Dazu trage zum Beispiel konsequentes Siezen eines Pöblers oder zu aufdringlichen Zeitgenossen bei. Auch könne man mit bestimmten Verhaltensregeln die eigene Sicherheit vergrößern - etwa, indem man sich in der S-Bahn immer an den Gang setzt, um sich alle Fluchtmöglichkeiten offenzuhalten.

Diesen Tipp hat auch Angela Rupp, Geschäftsführerin des Frauen- und Mädchennotrufs Ebersberg. Sie rät außerdem, Leute konkret anzusprechen, wenn man Hilfe braucht: "Sie da mit dem grünen T-Shirt!" Außerdem wünscht sie sich mehr Zivilcourage. "Wenn man bemerkt, dass sich ein Mädchen oder eine Frau unwohl fühlt, reicht es oft schon, sich dazuzustellen, zum Beispiel in der S-Bahn."

Selbstverteidigung

Am Anfang sind die Teilnehmerinnen zaghaft, doch sie machen in diesen 90 Minuten eine Entwicklung durch.

(Foto: Veranstalter)

"Wenn man Symptome bemerkt, Notarzt rufen und ab ins Krankenhaus."

Sich dahin zu begeben, wo andere Frauen sind oder vorzugsweise in Gesellschaft von Freunden auszugehen, rät auch Ingo Pinkowsky, Jugendschutzbeauftragter im Landratsamt Ebersberg. Er hat nicht nur einen Kurzvortrag über das Thema "K.o.-Tropfen" mitgebracht, sondern auch konkrete Schutzmaßnahmen. Die sogenannten "Bsafe Discs" decken Glasöffnungen ab, während "Spikeys Plastik-Pfropfen" für den Flaschenhals sind. Beide sollen das heimliche Einwerfen von K.o.-Tropfen erschweren und werden vom Landratsamt kostenlos ausgegeben.

Wichtig ist dem Beamten vor allem, dass Freunde aufeinander achten, sich gegenseitig unterstützen und auch da sind, wenn doch einmal etwas passiert ist. "Wenn man Symptome bemerkt, Notarzt rufen und ab ins Krankenhaus." Am besten auch gleich testen lassen - nach vier bis sechs Stunden lässt sich im Blut nichts mehr nachweisen. Unterstützung gibt es am Wochenende unter der 24-Stunden-Hotline des Frauennotrufs (08092) 88110, wo von Montag bis Freitag die Beratungsstelle erreichbar ist.

Am Ende des 90-minütigen Crashkurses ist klar, dass die Teilnehmerinnen zwar nur eine erste Ahnung von Gegenmaßnahmen bei Übergriffen mitnehmen konnten, sie nun aber wissen, dass es sehr wohl Mittel und Wege gibt, sich zu wehren. Das freut Franziska Decker vom Vorstand der Dirndlschaft Vaterstetten. "Wir wollten mit diesem Angebot zeigen, dass wir für gemeinsame Aktivitäten von Mädels für Mädels aus der Gemeinde stehen, und es bei uns nicht nur um Trinken geht." Nun, das mit dem Pendant Burschenverein oft in Verbindung gebrachte "saufen und raufen" war zwar auch an diesem Freitagnachmittag gewissermaßen das beherrschende Thema - aber in eindeutig pädagogisch wertvollem Sinn.

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