Religion:Besinnung im Bann der Bratwurst

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Bei der "Langen Nacht der Kirchen" in Grafing zeigt sich der christliche Glaube in knapp 50 Facetten

Von Valentina Antonucci, Grafing

Menschen tummeln sich auf den Straßen, lassen sich treiben, folgen dem Strom, der durch die Straßen führt. Zarte Töne eines Streichinstruments locken den ein oder anderen weg von den Tumulten, lassen ihn an einer Hausecke innehalten und ehrfürchtig lauschen, bevor er wieder seiner Wege geht. Die Luft ist kalt und klar, man kann den bevorstehenden Winter schon riechen, genauso wie das Grillgut, das frisch zubereitet am Kirchplatz verkauft wird. Eine lange Schlange hat sich vor dem Verkaufsstand gebildet, die Menschen stehen an, um sich zu stärken. Ans Heimgehen wird hier noch lange nicht gedacht.

Freitagabend in Grafing, mit knapp 50 Veranstaltungen feiert die Stadt die "Lange Nacht der Kirchen". Elf Stationen gibt es, die jeweils ein eigenes Programm für den Abend haben. Von Filmvorführungen über Vorträge und Konzerte, Ausstellungen und Aktionen für die Kleinen ist alles vertreten. Im Mittelpunkt der Veranstaltungen steht meistens die christliche Religion mit ihren Werten, im Einklang dazu wird häufig das Thema Flüchtlinge aufgegriffen, so wie die Möglichkeiten, verschiedene Kulturen zu kombinieren oder um zu erfahren, was Heimat für andere bedeutet.

In der Stadtbücherei trat der Gospelchor "Good News" aus Markt Schwaben auf. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Passend dazu soll im katholischen Pfarrheim das Integrationstheater aufgeführt werden, doch dort angekommen stellen die Besucher fest, dass dieses leider entfällt, da sich die Ebersberger Theatergruppe unfreiwillig aufgelöst hat. Das Integrationstheater bestand aus zwei deutschen Frauen und etwa einem Dutzend Männern, Flüchtlinge, die in der Region untergekommen waren. Mit Tanz und Theater verarbeiten sie hier die oft verwirrenden Eindrücke seit ihrer Ankunft in Deutschland. "Aufgrund diverser Wohnortswechsel einzelner Teilnehmer konnte das Projekt leider nicht mehr fortgesetzt werden.", so Jennifer Becker, Geschäftsführerin des Kreisbildungswerks Ebersberg.

Stattdessen erwartete dort Madame Cécile Beloum die Gäste. Die engagierte Katholikin stammt aus Burkina Faso und ist im Rahmen des Monats der Weltmission unter anderem nach Grafing gereist, um dort von ihrem Schaffen in ihrem Heimatland zu berichten. Sie setzt sich für Gleichberechtigung und Entwicklungsarbeit in ihrem Land ein, um der Armut entgegen zu wirken. Unterstützt wird sie dabei von der Organisation "Missio", die für den Vortrag auch eine Übersetzerin stellt, um Madame Beloums französische Ausführungen allen verständlich zu machen.

Im katholischen Pfarrheim erzählte Cécile Beloum von den Entwicklungen in ihrem Heimatland Burkina Faso. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Trotz der Sprachbarriere zieht die couragierte Frau das Publikum in den Bann, so dass hinterher begeistert Fragen gestellt werden. Nur langsam löst sich die Veranstaltung auf, viel zu kurz erscheint der Vortrag, so viel mehr hätte man gerne noch erfahren. Wieder auf dem Kirchplatz angekommen, ist von der gedankenverlorenen Stimmung nicht mehr viel übrig geblieben. Es herrscht pures Durcheinander, denn die Kleinen sind von der Kirchenralley zurückgekommen. Dort konnten sie die Grafinger St. Ägidius Pfarrkirche samt Friedhof entdecken und auf Schatzsuche gehen. Nun schallt fröhliches Kinderlachen über den Platz, während sie sich auf ihre Bratwurstsemmeln stürzen oder einer Katze hinterher jagen, um sie zu streicheln.

Schlendert man die Grafinger Straßen in Richtung Ortskern entlang, so kommt man an unzähligen geöffneten Türen vorbei, die dazu einladen, hineinzukommen und zu verweilen. Im Ägidiuszimmer stellen Grafinger Maler ihre Werke aus, knapp 80 Besucher wollten sich dies ansehen. Denn hier konnte man einen ganz anderen Blick auf die Heimat gewinnen, was daran lag, dass die Gemälde neben Heiligenbildern hauptsächlich Ansichten der Ortschaft darstellten. Besonders beliebt waren dabei der Grafinger Marktplatz und das Kasperlkreuz.. Es wurde deutlich, was die Maler an ihrer Heimat schätzen, strahlten doch alle Gemälde eine ruhige und geborgene Stimmung aus.

Das leibliche Wohl durfte nicht zu kurz kommen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In der Stadtbücherei hingegen ist es alles andere als ruhig. Der Gospelchor "Good News" steht als nächstes auf dem Programm. Unzählige Menschen strömen durch das Foyer, um einen möglichst guten Platz zu ergattern. Doch der Ansturm ist groß - alle Stühle sind besetzt, die Empore, sowie die hinaufführende Treppe gut gefüllt, und auch zwischen den einzelnen Bücherregalreihen drängen sich die Menschen dicht an dicht. Trotz der großen Menschenmenge ist es erstaunlich leise, als der Chor zu singen beginnt. Allmählich bereitet sich auf den Zuschauern ein Lächeln auf den Lippen aus, die Fröhlichkeit der Singenden scheint sich auf alle Anwesenden zu übertragen.

Mit geschlossenen Augen sitzen sie da oder wippen mit dem Fuß im Takt. Gelegentlich wird begeistert mitgeklatscht und geschnippst, doch erst als die Chorleiterin das Publikum zum Mitsingen auffordert, kommt Bewegung in die Menge. Erst zaghaft, dann immer kräftiger und sicherer werdend singen die Zuschauer gemeinsam mit den Chor immer wieder die Worte "Holy is the lamb of God". Eine ehrfürchtige, geradezu heilige Stimmung senkt sich über den Raum herab, nachdem die letzte Note verklungen ist. Es herrscht absolutes Schweigen bevor die Menge in tosenden Applaus ausbricht.

Doch nicht alle Besucher sind so ausgelassen, schließlich werden am heutigen Abend auch ernste Themen angesprochen. Hedwig Geisberg, Heilpraktikerin für Psychotherapie, erläutert in ihrem Vortrag "Die Kinder der Kriegskinder", welches Trauma die Kinder zur Zeiten des Nationalsozialismus erlitten haben und wie die Erlebnisse innerhalb der Familien weitergetragen wurden, da keine ausreichende Aufarbeitung des Geschehenen stattgefunden hat. Mal sachlich, mal einfühlsam berichtet Geisberg von diversen Situationen, die sie in ihrer eigenen Familie erlebt hat und erklärt das Verhalten anhand ihres psychologischen Fachwissens. Das Publikum wirkt betroffen, viele nicken gelegentlich zustimmend mit oder schütteln vor Ungläubigkeit den Kopf, sichtlich betroffen gehen sie wieder in die Grafinger Nacht hinaus.

Auf dem Kirchplatz ist jetzt weniger los, nur noch ein paar Leute sitzen bei weihnachtlicher Beleuchtung in der Kälte. Vereinzelt brennen Kerzen auf den Tischen und verbreiten eine gemütliche Stimmung. Es ist still, beinahe besinnlich. "Das ist das Besondere an der "Langen Nacht der Kirchen - die Stimmung", sagt Uli Tölle, Mitglied des evangelischen Kirchenchors, "Die Stimmung und das gemeinschaftliche Unterwegssein als Christen." Es ist eine Nacht, in der sich alle gemeinsam dem christlichen Glauben widmen und sich dabei öffnen für neue Impulse.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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