Trend-Hobby: HandarbeitenBest of Quilthühner

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Nicht nur das Nähen, auch die Vorbereitung einer Ausstellung macht Rosemarie Huber (mit Mann Johann im Hintergrund), Birgit Kaller, Birgit Kundsen-Domke und Gabi Stadler große Freude.
Nicht nur das Nähen, auch die Vorbereitung einer Ausstellung macht Rosemarie Huber (mit Mann Johann im Hintergrund), Birgit Kaller, Birgit Kundsen-Domke und Gabi Stadler große Freude. (Foto: Christian Endt)

Sechs Frauen, 30 Jahre Freundschaft und zahllose kreative Produkte: Die „Quilthühner“ treffen sich regelmäßig, um bunte Stoffquadrate aneinander zu nähen. Im Rathaus Zorneding zeigen sie nun rund 70 Objekte.

Von Michaela Pelz, Zorneding

Fröhliche Kinderstimmen schallen vom benachbarten Schulhof herüber, als man vor dem Zornedinger Rathaus steht. Im Inneren des Gebäudes mit einem von einer mächtigen Birkenfeige dominierten Lichthof wird es aber gleich nicht weniger lebhaft zugehen, denn die vier Frauen, die dort eifrig die Hängung ihrer Ausstellung besprechen, gehören zu den Quilthühnern. „Diesen Namen haben wir uns gegeben, weil es bei unseren Treffen immer so lustig, laut und wuselig zugeht“, verrät Rosemarie Huber.

Das Lachen und der eifrige verbale Austausch hindert sie, Gabi Stadler, Birgit Kaller und Birgit Knudsen-Domke – Hanni Deiss und Andrea Weise sind an diesem Vormittag leider krank – aber nicht daran, bei ihren Treffen fleißig jede Menge schöner Dinge zu produzieren, mal Kunst, mal Gebrauchsobjekt. Bettüberwürfe, Wandbehänge, Kissen, Taschen … die Bandbreite dessen, was hier aus dem Zusammennähen von dreilagigen Stoffquadraten entsteht, ist überaus groß.

Leporello, Kissen und Co: Die Bandbreite der handgemachten Stoffprodukte ist erstaunlich groß.
Leporello, Kissen und Co: Die Bandbreite der handgemachten Stoffprodukte ist erstaunlich groß. (Foto: Christian Endt)

Bevor man jedoch ins Gespräch darüber einsteigen kann, ist erst einmal eine Klärung der richtigen Aussprache fällig. „K-wilt“ heißt diese nämlich.„Ein Quilt ist ein Quilt und ein Kilt ist ein Kilt“, sagt Birgit Kaller entschieden. Die frühere Zornedingerin lebt heute in Landshut und besitzt ein fast enzyklopädisches Wissen zum Thema. Nicht weiter verwunderlich, wenn man hört, dass sie schon internationale Repräsentantin der deutschen Patchwork Gilde sowie Vorsitzende der European Quilt Association war und viele Jahre lang für die deutsche Mitgliederzeitung geschrieben hat.

Aus alt mach neu: Früher wurde teils aus „schierer Not“ gequiltet

Kaller weiß also zu erzählen, dass die Ägypter vor 6 000 Jahren mit dem Quilten begonnen und die Chinesen 3 000 Jahre später nachgezogen hätten. „In Europa waren es sorbische Soldaten, die Ende des 18. Jahrhunderts aus Langeweile zerschlissene Mäntel und Uniformen in etwas anderes verwandelt haben.“ Die amerikanischen Siedler wiederum habe zwischen 1880 und 1920 die „schiere Not“ dazu getrieben, ausrangierter Kleidung ein neues Leben zu geben.

Das ist natürlich nicht der Grund, weswegen sich die sechs Frauen zwischen Ende 50 und Mitte 60 seit einem gemeinsamen VHS-Kurs vor bald 30 Jahren diesem Hobby verschrieben haben. Ganz im Gegenteil: Für den Verkauf wären die handgemachten Produkte viel zu teuer, allein deshalb, weil so viel Arbeitszeit drinsteckt. Darum stellen die Quilthühner ihre Stoffwerke in der Regel für den Eigengebrauch her oder verschenken sie.

Gabi Stadler hat für die Mädchen des Trachtenvereins Taschen hergestellt, die zum Dirndl passen.
Gabi Stadler hat für die Mädchen des Trachtenvereins Taschen hergestellt, die zum Dirndl passen. (Foto: Christian Endt)

So hat Gabi Stadler die von ihrem Sohn geleitete Kindergruppe der Zornedinger Trachtler mit 30 zum Dirndl passenden Handtaschen ausgestattet. Überhaupt hat die Sechzigjährige ein Faible für kleine und kleinste Menschen: Ihre Vorliebe gilt der Herstellung von Krabbeldecken, die sie im Freundeskreis verschenkt.

Mit Decken hat auch Birgit Knudsen-Domke Erfahrung. Für eine demente alte Dame hat die frühere Altenpflegerin, die ursprünglich aus Flensburg stammt, aber schon seit 31 Jahren in Bayern lebt, einmal eine „Nesteldecke“ kreiert: „Da kann man dann Knöpfe oder einen Reißverschluss öffnen beziehungsweise schließen und jedes Quadrat fühlt sich anders an, mal glatt, mal rau.“

Bunte Lebensfreude: „Ladies“ heißt die Serie, zu der diese genähten Porträts gehören.
Bunte Lebensfreude: „Ladies“ heißt die Serie, zu der diese genähten Porträts gehören. (Foto: Christian Endt)
„Salzburg modern interpretiert“, so lautete das Motto dieses Jahresprojektes. Dabei galt es, Postkartenmotive textil umzusetzen.
„Salzburg modern interpretiert“, so lautete das Motto dieses Jahresprojektes. Dabei galt es, Postkartenmotive textil umzusetzen. (Foto: Christian Endt)

Das, was die Damen in den nächsten Stunden im Lichthof des Zornedinger Rathauses befestigen werden, geht aber immer wieder über die praktische Anwendung hinaus. Da gibt Wandschmuck mit Bauhaus-Anmutung, entstanden 2020 zum Jubiläum der Dessauer Bewegung, oder aber auch einen, auf dem sich alte Bauernweisheiten finden. Besonders apart, farbenfroh und ausdrucksstark sind die Werke mit dem Titel „Ladies“. Inspiriert wurden die Quilthühner 2022 zu dieser Serie von der Arbeit der Textilkünstlerin Susan Gordon.

Manche Motive sind figürlich.
Manche Motive sind figürlich. (Foto: Christian Endt/© Christian Endt)
Andere ganz abstrakt.
Andere ganz abstrakt. (Foto: Christian Endt)

Neben solchen Jahresthemen, die jede der Frauen für sich allein realisiert, gibt es immer wieder Gemeinschaftsarbeiten – meist als Geschenk zu einem runden Geburtstag. So bekam Rosemarie Huber eine Reisedecke fürs Wohnmobil oder Andrea Weise ein wunderschönes Leporello, bei dem auf einem Grundton in Schwarzweiß jede Doppelseite in einer anderen Farbe des Regenbogens erstrahlt. Die Idee dafür kam von der mit den Quilthühnern befreundeten Textilkünstlerin Renate Dehrberg aus Ainring. Gabi Stadlers Geburstatgs-Wandbehang wiederum ist gefertigt aus afrikanischem Stoff, einem Reisemitbringsel. Auf der Rückseite sind persönliche Wünsche der Freundinnen verewigt.

Gemeinschaftsarbeit: Dieses Leporello bekam Andrea Weise geschenkt.
Gemeinschaftsarbeit: Dieses Leporello bekam Andrea Weise geschenkt. (Foto: Christian Endt)

Solche Werke entstehen unter anderem bei der jährlichen Näh-Auszeit der Gruppe – vier Tage, drei Nächte –, die meist in einer Jugendherberge stattfindet. Alles Nötige bringen die Quilthühner selbst mit: Stoffe, Vlies, Bügelbrett und Nähmaschinen. „Ganz früher haben die Frauen noch alles mit der Hand zusammengenäht“, berichtet Kaller. Das wisse sie von der bereits verstorbenen Esther Miller, einer Amerikanerin, die einst im Rahmen eines Freiwilligendienstes nach Deutschland kam und blieb. „Diese höchst beeindruckende Frau, eine gebürtige Amishe, hatte als Kind noch erlebt, wie sich viele Frauen bei diesem Vorgang um einen Rahmen herum versammelten.“

Dass man sehr exakt arbeiten muss, um einen derartigen Wandschmuck herstellen zu können, erschließt sich ohne Weiteres.
Dass man sehr exakt arbeiten muss, um einen derartigen Wandschmuck herstellen zu können, erschließt sich ohne Weiteres. (Foto: Christian Endt)

Was alle Quilthühner fasziniert, ist die Tatsache, dass aus ein und demselben Material ganz unterschiedliche Endprodukte entstehen können. Doch welche Kenntnisse sind dafür nötig? „Man muss Geduld und Zeit mitbringen und ganz genau arbeiten, aber ansonsten kann jeder quilten, der eine Nähmaschine bedienen kann“, sagt Kaller.  Und obwohl dieses Hobby sehr weiblich geprägt ist, wird es doch auch von ein paar Männern wie dem Designer Kaffe Fassett betrieben, von dem auch einige der farbenfrohen Stoffe stammen.

Der Herr, der in diesem Moment vorbeikommt, würde sich, wie er mit einem Lachen erklärt, textile Kunst zwar wohl eher nicht an die heimischen Wände hängen, dafür habe er Bilder. Dennoch betont Bürgermeister Piet Mayr, er schätze die diversen Ausstellungen in seinem Rathaus sehr: „Ich finde es immer ausgesprochen schön, wenn die weißen Wände wieder bunt werden!“

Quiltausstellung im Rathaus Zorneding, Schulstraße 13.  Eintritt frei. Besichtigung möglich zu den üblichen Öffnungszeiten (Faschingsdienstag geschlossen). Ende der Ausstellung: Donnerstag, 6. März, 12 Uhr.

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