Süddeutsche Zeitung

Puppenspiel und Kunst am Trapez:Erzählungen zwischen Erde und Himmel

Zwei Künstlerinnen aus dem internationalen Frauennnetzwerk "Magdalena" erstaunen das Publikum im Moosacher Meta-Theater mit Performance und Artistik

Von Ulrich Pfaffenberger, Moosach

"Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab." So beginnt eines der bekanntesten Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm. Jetzt, wo wir's lesen, erinnern wir uns auch gleich wieder daran. Aber wie endet die Geschichte? "Und wenn sie nicht gestorben sind..." Von wegen. "Da mußte sie in die rotglühende Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel", erzählt der letzte Satz des Märchens über das Ende der bösen Frau, die sich für die Schönste hielt. Es könnte aber auch so gewesen sein, dass Schneewittchen den Herrn Prinz heiratet, selbst eine Tochter bekommt, sich mit der Nadel in den Finger sticht und bald darauf stirbt, auf dass die Geschichte sich wiederhole.

So jedenfalls erzählte Deborah Hunt am Samstag im Meta-Theater in Moosach ihre Variante von Schneewittchen nach der Vorlage der spanischen Autorin und Illustratorin Ana Juan. Was heißt: "erzählt"? Sie spielt das Märchen in einer mitreißenden Melange aus Puppenspiel und Performance. Wobei die Puppen in der Tradition kleinformatiger Guckkastenbühnen auftreten, wie sie vor gut 150 Jahren die Salons des Bürgertums schmückten. Mit Figuren aus Papier und austauschbaren Kulissenbildern, vor denen sich im regen Hin und Her-Geschiebe muntere Geschichten abspielten. Hunt, die pantomimisch in die Rolle einzelner Figuren schlüpft, schenkt den Betrachtern zusätzlich eine dritte und vierte Dimension des Erlebens, bis hin zum veritablen "Kurzen", den sie als Kellnerin im "Lilly & Put"-Pub kredenzt.

Obwohl ihr bei diesem Auftritt die sonst übliche musikalische Begleitung durch eine Cellistin fehlt - die Reise aus Puerto Rico wäre zu aufwendig gewesen - sprühen die eingespielten Klänge, Melodien und Geräuschkulissen nur so vor Lebendigkeit und geben der Inszenierung zusätzliche Kraft. Kein Wunder, handelt es sich doch nicht um professionelles Studiomaterial, sondern um den Live-Mitschnitt per Smartphone während einer Aufführung in Mittelamerika, murmelndes Publikum und düdelndes Handygeräusch inklusive. So entwickelt sich im erfrischenden Miteinander von Improvisation und Liebe zum Detail, von geduldigem Erzählen und intuitiv-ironischem Zugehen aufs Publikum eine zauberhafte Inszenierung, von der sich mancher eine sofortige, mindestens aber baldige Fortsetzung wünschte, wie der begeisterte Applaus verriet.

Zuvor schon hatte - erstmals zwei Aufführungen zu einer Gelegenheit im Meta-Theater, wie Chef Axel Tangerding stolz bemerkte - sich Jana Korb aufs Trapez begeben, hoch über der Bühne. "Aerial Theater" nennt sie ihre Mischung aus "narrativem Zirkus und Performances für den öffentlichen Raum". Das verlangt von den Zuschauern ein Näherrücken an Ort der Inszenierung und die Einnahme einer Haltung, die bedrohlich für die Nackenmuskulatur erscheint. Allein, die Befürchtung bewahrheitet sich nicht, weil die kunstvollen Bewegungen der Artistin, ihre Körperbeherrschung und ihr spielerisch leichter Umgang mit der Textvorlage eine ganz andere Spannung erzeugt, die über das Physische hinausgeht. Selbst jenen, die mit Kafka wenig anzufangen wissen, vermitteln ihre Botschaften aus luftiger Höhe, aus der Freiheit der Entscheidung und der Abhängigkeit vom Turngerät, einen Zugang zu den existenziellen Fragen und Nöten des Lebens ohne Netz und doppelten Boden.

Wie sich Gedanken und Bewegungen die Hand reichen, wie Sprache und Perspektive miteinander in Wechselwirkung gehen, wie die Gefahr in den Hintergrund tritt und das artistische Können der Schönheit einen eigenen Rhythmus gibt - das alles macht staunen. Noch größer aber die Faszination darüber, wie alle Elemente der Performance ineinanderfließen, während die Zeit verfliegt und gleichzeitig stillzustehen scheint. Wie sehr das die Zuschauer berührte, äußerte sich in einer eigenwilligen Mischung des Applauses, changierend zwischen Respekt und Hingerissenheit.

Einmal mehr erweist sich hier das Meta-Theater mit seiner Offenheit für Unkonventionelles als ideale Plattform, um neue Perspektiven zu entdecken und die Sinne für Wahrnehmungen zu öffnen, die einem im Alltag nicht von selbst begegnen, sondern gefunden werden wollen. Der selbst für Moosacher Verhältnisse ungewöhnliche Abend macht daher neugierig auf weitere Elemente des weitgefassten Programms, das der Münchner Ableger des internationalen Frauen-Netzwerk "Magdalena" noch bis 25. April an Theater, Performance, Workshops und Vorträgen anbietet, dann aber an anderen Spielorten.

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Quelle:
SZ vom 26.02.2018
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