Prozess vor dem Amtsgericht:Nachspiel eines tragischen Tages

Im Mai 2011 überfährt ein Bauer mit seinem Traktor einen zehnjährigen Jungen, der noch an der Unfallstelle stirbt. Der Mann wird zu einer Geldstrafe verurteilt.

Von Alexander Sorg

Die Mutter hielt den starren Blick fest auf das mitgebrachte Portrait des verstorbenen Sohnes gerichtet und kämpfte mit den Tränen. Ihr Ehemann wirkte abwesend, der Blick leer. Die Last, die der Tod ihres Kindes mit sich gebracht hat, war den Eltern in jedem Augenblick des Prozesses anzumerken. Ihr zehnjähriger Sohn war im Mai 2011 beim Fahrradfahren in Oberpframmern vom Traktor eines Bauern erfasst worden. Der Bub erlag noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen. Wegen fahrlässiger Tötung wurde der Unfallfahrer nun vom Amtsgericht Ebersberg zu einer Geldstrafe verurteilt.

"Wenn ich es könnte, dann würde ich den Tag einfach ungeschehen machen", erklärte der Angeklagte mit gesenktem Kopf. Auf den großen, knallgrünen Stühlen des Amtsgerichts wäre er in seinem grauen Hemd wohl eine ganze Weile unbemerkt geblieben, wäre ihm nicht als erster das Wort erteilt worden.

An besagtem Tag sei er mit seinem Traktor auf dem Weg vom familieneignen Hof zu seinem Haus gefahren, welches sich im Umbau befand. In der Schaufel des Traktors habe er vier Paletten und einen Hub-Lader verstaut gehabt. "Die wurden am nächsten Tag für den Umbau benötigt." Entgegen der Beschuldigung der Staatsanwaltschaft habe er die Schaufel komplett über der Fahrerkabine positioniert und demzufolge freie Sicht auf die Fahrbahn gehabt. Plötzlich habe er ein lautes metallisches Geräusch gehört und gemerkt, dass er über etwas gefahren sei. "Aber vor mir war niemand gewesen, der Junge muss von der Seite gekommen sein", erklärte der Angeklagte.

Er habe seinen Sohn, der als Beifahrer links neben ihm im Traktor saß, angewiesen, in der Fahrerkabine zu bleiben. Da die linke Tür vom Sohn blockiert gewesen sei, habe er auf der anderen Seite aussteigen müssen. Der Weg zur rechten Tür sei allerdings durch einen Hebel zum Absenken und Anheben der Schaufel versperrt gewesen. "Ich habe den Hebel nur kurz aus der Sicherheitsstellung lösen wollen, um zur Tür zu gelangen. Dabei habe ich aus Versehen die Schaufel abgesenkt." Im Nachhinein habe es deshalb so ausgesehen, als sei er mit eingeschränkter Sicht gefahren. Anschließend sei er aus der Tür gestiegen, habe diese hinter sich geschlossen und den überfahrenen Jungen entdeckt. Trotz Reanimierungsmaßnahmen des Angeklagten erlag der Zehnjährige seinen Verletzungen.

Aufgrund der Schwere seiner Kopfverletzungen sei der Junge sofort tot gewesen, erklärte Dr. Oliver Peschel. Der Rechtsmediziner, der an der Ludwig-Maximilians-Universität als Privatdozent lehrt, war neben drei anderen Sachverständigen für die technischen Fragen des Prozesses zuständig. Während der Verhandlung wurden mehrmals verschiedene Unfallszenarien rekonstruiert, die klären sollten, ob der Junge hätte gesehen werden können. Die Eltern des Buben bemühten sich, die Fassung zu wahren. Mit versteinerter Miene hörten sie den Ausführungen der Sachverständigen zu.

Am Ende schloss sich die zuständige Richterin der Mehrheitsmeinung der anwesenden Sachverständigen sowie der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage an. Der Junge habe sich vor dem Fahrzeug befunden und hätte deshalb vom Angeklagten gesehen werden müssen. Dieser habe entweder die Schaufel zu tief gehalten oder das Straßengeschehen nicht konzentriert verfolgt. Daher treffe der Tatbestand der fahrlässigen Tötung zu. Der Angeklagte wurde vom Gericht zu 140 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Darüber hinaus wurde ihm seine Fahrerlaubnis für zwei Monate entzogen.

"Es war rechtlich und vor allem menschlich kein einfaches Verfahren", merkte die Richterin bei der Urteilsverkündung an. Für die Eltern seien die vergangenen Jahre unvorstellbar schmerzlich gewesen, aber auch der Angeklagte habe durch Diffamierung im Dorf keine schöne Zeit erlebt. Zudem nehme sie ihm die Trauer und Fassungslosigkeit über den Unfall ab. "Ich hoffe, mit dem Urteil auch etwas Frieden über die Sache bringen zu können", erklärte die Richterin.

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