Prozess vor dem Amtsgericht Ebersberg:Wirtshausstreit eskaliert: Halbseitenlähmung wegen 20 Euro Spielschulden

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Angreifer erhält Bewährungsstrafe. Der Verlierer leidet bis heute unter den Folgen.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Es ist eine wohlwollende Geste des Angeklagten, doch sie bringt nicht zurück, was sein Gegenüber bei diesem folgenschweren Kartenspiel im Oktober 2017 verloren hat: Im Gerichtssaal überreicht der eine dem anderen einen Umschlag mit 5000 Euro, gebündelt in Hunderter-Scheinen. "Es tut mir so leid", sagt der Angeklagte, ein 24-jähriger Mann aus dem Landkreis Ebersberg. Das Opfer, ein 61-jähriger Maler, ebenfalls aus dem Landkreis, nimmt den Umschlag an - auch wenn er sich dafür seine Gesundheit nicht zurückkaufen kann. Seit seiner letzten Begegnung mit dem Angeklagten ist er halbseitig gelähmt.

Im Ebersberger Amtsgericht wird an diesem Mittwoch ein Kneipenabend in Vaterstetten nachskizziert, an dem ein Streit zweier betrunkener Kartenspieler wegen 20 Euro eskalierte. Nach mehreren Runden Watten waren sich die beiden offenbar uneinig über die Spielschulden. Und so kam es, dass der jüngere den Älteren am Hals packte und von einem Barhocker zu Boden beförderte. Der damals 60 Jahre alte Mann stürzte mit dem Kopf auf den Steinboden und verletzte sich so schwer, dass er in die Unfallklinik nach Murnau gebracht werden musste. Der Täter wurde nun wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten sowie von einer monatlichen Zahlung von 200 Euro an den Geschädigten verurteilt. Ein milder Richterspruch - dank mildernder Umstände. Einer davon: Alkohol.

Die knapp vierstündige Verhandlung ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was Alkohol mit Menschen macht, und wie schlimm Folgen des Kontrollverlusts sein können. Der 61-jährige Geschädigte erscheint als Zeuge, er zieht im Gerichtssaal einen Fuß nach, hat Schwierigkeiten, bestimmte Worte zu finden - alles Schäden, die der Aufprall am Steinboden auslöste. An der Halbseitenlähmung werde sich nichts mehr verbessern, das erklärt ein behandelnder Arzt aus Murnau im Prozess, er ist als Gutachter geladen.

Wie konnte es so weit kommen? Um diese Frage ging es Richter Markus Nikol und seinen Schöffen, die mehrere Zeugen vernahmen, darunter ein Polizist und ein dritter Kartenspieler. So ergab sich bald ein recht klares Bild: Begonnen hatte alles mit einem Polterabend zwischen Vaterstetten und Zorneding, bei dem der Angeklagte mit seinen Spezln zu Gast war - offenbar mit dem Ziel, Alkohol zu trinken. Die Bilanz des Angeklagten lag nach Angaben aller über dem Durchschnitt der Gruppe: Fünf bis acht halbe Bier, und fünf bis acht Kräuter-Schnäpse. Anschließend ging es dann in die Vaterstettener Kneipe, wo die jungen Männer auf den 61-Jährigen trafen. Ein Kumpel, mit dem sie sich dort schon öfter zum Kartenspielen getroffen hatten. Wie sonst auch wurde hier weitergetrunken. Nur dass es diesmal eskalierte.

Einblutungen im Gehirn führen zu Gedächtnisverlust

Im Gerichtssaal kommt erschwerend hinzu, dass weder der Angeklagte noch der Geschädigte sich an den Vorfall erinnern können. Der 24-Jährige spricht von einem alkoholbedingten Filmriss, dem Opfer fehlen im Gedächtnis durch direkte Einblutungen ins Gehirn mehrere Monate vor und nach dem Vorfall. Die belastbarste Aussagen kommt deswegen von einem Zeugen, der an einem Nebentisch saß - und die Szene am Tresen beobachtete. Demnach weigerte sich der Geschädigte, die Spielschulden an den Angeklagten zu bezahlen, so schildert es der dritte Mitspieler im Zeugenstand. Stattdessen stand er vom Kartlertisch auf und setzte sich auf einen Barhocker am Tresen. Um kurz nach Mitternacht griff ihn dort der damals 22-Jährige an.

Der Geschädigte musste seinen Beruf als Maler vorzeitig aufgeben, er ist erwerbsunfähig, ihn dürften aber Schmerzensgeld und Schadenersatzzahlungen vom Angeklagten erwarten. Dem 24-Jährigen bleibt eine Gefängnisstrafe erspart, aus mehreren Gründen: Weil er zum Tatzeitpunkt nach Einschätzung eines Rechtsmediziners drei Promille Alkohol im Blut hatte, geht das Gericht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. Positiv wird ihm zudem ausgelegt, dass er regelmäßig eine Therapie besucht und seit dem Vorfall alkoholabstinent lebt. Er ist nicht vorbestraft, hat feste Arbeit und ein kleines Kind. Im Gerichtssaal stand er noch vor der Urteilsverkündung von der Anklagebank auf und reichte dem Geschädigten und seiner Frau die Hand. Beide nahmen seine Entschuldigung an.

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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