Prozess :Sträflich uneinsichtig

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Gericht verurteilt 20-Jährigen und überführt Cousin der Falschaussage

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Wer als Jugendrichter arbeitet, der braucht mehr als nur juristische Fachkompetenz. Zu dem Job gehört auch ein Verständnis für die Nöte der Heranwachsenden und eine gehörige Portion Einfühlungsvermögen. Gerade mit letzterem sparte Richter Dieter Kaltbeitzer bei einer Verhandlung am Mittwochmorgen vor dem Ebersberger Amtsgericht nicht. Doch auch noch so gutes Zureden hat keinen Effekt, wenn es bei der Gegenseite auf taube Ohren stößt.

Angeklagt war ein 20-Jähriger aus dem nördlichen Landkreis, der im August vergangenen Jahres in einem Fastfood-Restaurant am Münchner Karlsplatz mit einem anderen Mann in Streit geraten war. Als sein Kontrahent daraufhin die Polizei rufen wollte, soll er ihm dessen Handy aus der Hand gerissen und ihm damit auf den Kopf geschlagen haben. Anschließend soll er das mehrere hundert Euro teure Gerät auf den Boden geworfen haben, so dass das Display zu Bruch ging.

Von den Vorwürfen der Staatsanwältin wollte der Angeklagte vor Gericht nichts wissen. Ja, sie hätten sich gestritten, aber geschlagen habe er den anderen nicht, ließ der junge Mann von einem Dolmetscher übersetzen. Auch auf den Hinweis von Richter Kaltbeitzer hin, dass vor der Tür eine unbeteiligte Zeugin warten würde, die den Vorfall genau beobachtet habe, blieb der Angeklagte bei seiner Version.

Diese unterschied sich selbstredend komplett von der des Opfers. Der 29-jährige Rettungsassistent aus München, der das Handy abbekommen hatte, gab an, er habe gesehen wie der Angeklagte in dem Restaurant Mädchen angemacht habe und sei dazwischen gegangen. Daraufhin habe ihn der Mann beleidigt und sei aggressiv geworden. Als er schließlich nach draußen gegangen sei, um die Polizei zu alarmieren, sei es zu dem Schlag mit dem Mobiltelefon gekommen. Diese Sicht der Dinge bestätigte so auch eine junge Frau, die ebenfalls in dem Restaurant zugegen war und die Angelegenheit verfolgt hatte. Die 19-Jährige konnte den Angeklagten auch eindeutig anhand von Vergleichsbildern identifizieren. Zudem dokumentierte ein Mitschnitt den Verlauf des Notrufs, der mit einem "dumpfen Schlag" zu Ende ging.

Die Beweislast war bereits an diesem Punkt so erdrückend, dass Kaltbeitzer dem Angeklagten ein Geständnis wärmstens ans Herz legte. Der aber blieb bei seiner Aussage, was für allgemeines Kopfschütteln im Sitzungssaal sorgte. Den kuriosen Schlusspunkt setzte schließlich der Cousin des jungen Mannes, der mit ihm zusammen in dem Fastfood-Restaurant war. Nachdem ihm der Richter unter Androhung einer empfindlichen Strafe eingeschärft hatte, er müsse hier zwingend die Wahrheit sagen, gab er eine völlig hanebüchene Sichtweise zum besten: Nicht der Angeklagte, sondern das vermeintliche Opfer habe mit dem Handy zugeschlagen.

Diese Einlassungen waren angesichts der Beweislage so abwegig, dass dem ebenfalls 20-Jährigen nun eine Anzeige wegen uneidlicher Falschaussage droht - und darauf stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Der Angeklagte selbst wurde unter Anwendung des Jugendstrafrechts wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung schuldig gesprochen - und muss nun zwei Wochenenden in einer Arrestanstalt verbringen.

© SZ vom 08.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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