Dass Opfer von Straftaten ein Interesse an der Verurteilung ihres Peinigers haben, ist nicht weiter verwunderlich. Kurios ist dagegen, wenn eine nachweislich Geschädigte das Gericht ausdrücklich darum bittet, den Angeklagten nicht zu bestrafen. So geschehen am Dienstagnachmittag im Ebersberger Amtsgericht, wo sich ein 39-jähriger Mann wegen Körperverletzung gegenüber seiner Lebensgefährtin verantworten musste. Die aber war im Zeugenstand der Ansicht: "Eine Strafe wäre hier überhaupt nicht förderlich."
Das klang Ende vergangenen Jahres noch ganz anders, als die 42-Jährige gleich zweimal den Notruf gewählt hatte. Mitte November soll der Angeklagte die Frau in ihrer Wohnung im nördlichen Landkreis Ebersberg an der Schulter gepackt und in die Wange gebissen haben. Rund einen Monat später hatte es bei dem Paar erneut gekracht. Diesmal habe der Mann, der im Nachbarlandkreis Erding lebt, seine Lebensgefährtin zunächst mit frauenverachtenden Worten beschimpft, ehe er ihr mit der flachen Hand gegen den Kopf geschlagen habe. Doch damit nicht genug: Der Anklageschrift zufolge war der 39-Jährige am selben Abend in die Wohnung der Frau zurückgekehrt, habe sie dort bedroht, bespuckt und ihr erneut ins Gesicht geschlagen. Als diese versuchte ins Schlafzimmer zu fliehen, soll der Mann laut Staatsanwalt die Tür eingetreten haben.
Für das, was zunächst nach einem klaren Fall von häuslicher Gewalt klingt, hatte der Angeklagte jedoch eine ganz eigene Erklärung. Er habe sich um seine Lebensgefährtin Sorgen gemacht, habe sie wachrütteln wollen, erklärte dessen Verteidiger. Der Mann drückte es so aus: "Ich hatte Angst um ihr Leben." Hintergrund ist, dass die beiden Partner seit Jahren mit starken Alkoholproblemen zu kämpfen haben. Während der Mann inzwischen auf dem Weg der Besserung ist, erleidet die 42-Jährige immer wieder Rückschläge. So auch in der Zeit, in der die Taten passiert waren.
Dass er seine Lebensgefährtin geschlagen und beleidigt hat, stritt der Angeklagte gar nicht erst ab. "Wir verstehen uns gut, wir dürfen nur beide nicht trinken", sagte er vor Gericht. An besagten Tagen sei er "stinksauer" auf seine Partnerin gewesen, dass es mit ihrer Alkoholsucht nicht besser werde. Er selbst hatte zu dem Zeitpunkt allerdings auch schon eine halbe Flasche Wodka intus, wie er einräumte. "Wir waren beide besoffen. Es war eine blöde Zeit", sagte der Mann.
Recht ähnlich äußerte sich auch die Geschädigte selbst im Zeugenstand. "Unser Verhältnis ist ziemlich gut. Wir haben uns wieder zusammengerauft." Sie selbst leide unter Depressionen, sei alkoholkrank und habe bereits mehrere Krampfanfälle hinter sich. Der Angeklagte sei ihr in dieser schwierigen Zeit jedoch immer eine große Stütze gewesen. "Ich kann schon verstehen, dass man sich da Sorgen macht", sagte die Frau vor Gericht. Den Strafantrag würde sie deshalb am liebsten zurücknehmen, auch vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte gerade eine neue Arbeitsstelle angetreten hat. "Er ist auf dem richtigen Weg", sagte die Frau ganz im Stile eines Verteidigers.
Die Juristen im Sitzungssaal hatten mit der Beurteilung der Situation dagegen deutlich größere Probleme. "Der Sachverhalt ist eindeutig, kompliziert sind die Hintergründe", sagte etwa der Staatsanwalt. Bei den beiden liege eine "massive Alkoholproblematik" vor. Zudem habe der Angeklagte glaubhaft dargelegt, dass bei den Taten eine gewisse Sorge um seine Lebensgefährtin mitgeschwungen habe. Ganz ohne Strafe dürfe der mehrfach vorbestrafte und verschuldete 39-Jährige dennoch nicht davonkommen, weshalb der Staatsanwalt für einen eher ungewöhnlichen Weg plädierte: eine Verwarnung mit Vorbehalt. Sollte sich der Mann in den nächsten zwei Jahren nichts zu Schulden kommen lassen, entgeht er der Strafzahlung von insgesamt 3600 Euro.
Diesem Vorschlag folgte schließlich auch Richterin Vera Hörauf. "Ich habe den Eindruck, es ist einfach eine schwierige Beziehung", so das Fazit der Vorsitzenden. Als Auflage muss sich der Mann nun ernsthaft um eine Alkoholtherapie bemühen. "Je schneller, desto eher wird Ihnen auch geholfen."