Prozess in Ebersberg:"Du kleine megasüße Maus"

Studie: Fast jeder 20. Mann hat pädophile Tendenzen

Die Verhandlung fand vor dem Amtsgericht Ebersberg statt (Symbolbild).

(Foto: dpa)

Ein 37-Jähriger, der bereits wegen schweren Kindesmissbrauchs im Gefängnis war, nimmt wieder Kontakt mit kleinen Mädchen auf. Dann kommt ihm Google auf die Spur.

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Was wäre passiert? Das ist die Frage, die am Ende im Raum steht. Was wäre passiert, wenn die US-Behörden nicht die deutsche Polizei informiert hätten, die Wohnung des Mannes nicht durchsucht worden wäre, bevor es zu weiteren Treffen mit Minderjährigen kam? Der Richter am Ebersberger Amtsgericht ist sich am Ende der Verhandlung sicher: "Job, Wohnung, Therapie, das alles konnte Sie auch in der Vergangenheit nicht abhalten." Er entscheidet: Der 37-Jährige gehört wieder in Haft, für zwei Jahre und vier Monate.

Die dritte Haft also für den Mann, kurze dunkle Haare, grauer Kapuzenpulli, dunkelblaue Jeans, der im Gerichtssaal zumeist regungslos am Tisch kauert. Er hatte schon zwei Mal wegen schweren Kindesmissbrauchs eingesessen. Auf die Fährte war man ihm jetzt gekommen, weil er im Januar per E-Mail Nacktbilder einer Minderjährigen an einen Freund in Österreich versendet hatte - und das, obwohl er seit seiner letzten Haftentlassung vor vier Jahren noch unter Führungsaufsicht stand, also keine minderjährigen Mädchen kontaktieren durfte. Nachdem Google den Verstoß meldete, fand man bei einer Durchsuchung explizite Bilder und Chatgespräche, deren Inhalt wenig Hoffnung auf Besserung versprachen.

Darunter waren Bilder mit bis zu acht Jahre jungen Minderjährigen, eindeutig auch die Chatverläufe mit teilweise nur zwölfjährigen Mädchen: "Du kleine megasüße Maus, wäre ich jünger, würde ich dich auf Händen tragen", schrieb er einer 15-Jährigen, als "kleine, unbekannte Schönheit" bezeichnete er eine 13-Jährige. Beunruhigende Phrasen von jemandem, der in der Vergangenheit versucht hatte, die minderjährige Tochter der Halbschwester zu vergewaltigen und sich zum Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen im Wald traf.

Zum ersten Mal selber spricht der Angeklagte, als ihn Richter Markus Nikol nach den Gründen für "die Langeweile" befragt, die er seinem Anwalt als Auslöser für sein Verhalten genannt hatte. Ihm sei der Blinddarm entfernt worden, flüstert dieser kaum hörbar, ein geregelter Tagesablauf habe gefehlt, "ich hatte zu viel Zeit". Auf das Chatprogramm sei er eher zufällig gekommen.

"Bei zu viel Langeweile kann mir das durchaus wieder passieren"

Mit den Fingern simuliert er über der Anklagebank, wie er auf einer Tastatur tippt und sagt: "Ich habe nach einem Single-Chat gegoogelt und bin auf das Programm gestoßen." Eine Version, die der Richter so nicht gelten lassen will. "Sie wussten genau, wie alt diese Mädchen waren", sagt er zum Angeklagten. Dieser stellt sich selber keine besonders gute Sozialprognose aus: "Bei zu viel Langeweile kann mir das durchaus wieder passieren."

Das Bild von einem pädophilen, aber ansonsten psychisch unauffälligen Mann mit einer schwierigen Vergangenheit beschreibt die Gutachterin aus den Details eines Vorgutachtens. Bereits der Vater habe sich in einschlägigen Kreisen herumgetrieben, und als der Mutter das Sorgerecht entzogen wurde, kam er mit zwölf Jahren ins Heim, wo er sich so weit wohlgefühlt, selber nie Missbrauch erlitten habe. Am Ende befindet sie den Mann, der weiter regungslos auf der Bank verharrt, für voll schuldfähig, außerdem sei seine Therapie mit bisher 70 Stunden "so weit ausgereizt".

Als "schwierige Frage" bezeichnet die Staatsanwältin das Strafmaß für den Wiederholungstäter, das sie schließlich auf drei Jahre und zwei Monate ansetzt. Der Angeklagte sei zwar "bemüht und fleißig", aber sein Verhalten gleiche denen, "die einen früher mit Süßigkeiten gelockt haben", und das, obwohl er zwei Chancen gehabt habe, sich zu bewähren. Von einer "reinen Kontaktanbahnung" spricht schließlich der Anwalt beschwichtigend.

Seine Forderung nach einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren begründet er mit der düsteren Prognose nach einer Haft: "Dann hätte er gar nichts mehr", sagt er, während der Angeklagte weiter schräg auf dem Sitz in Richtung des Richters schaut. Dieser sieht mit Blick auf die Vorgeschichte keinen Raum für eine Bewährung: Vielmehr sei der Mann ein "klarer Kandidat für die Sicherheitsverwahrung". Mit verzogenem Gesicht verlässt der 37-Jährige nach dem Urteil den Gerichtssaal. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Mann kann binnen einer Woche in Berufung gehen oder Revision einlegen.

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