Süddeutsche Zeitung

Prozess in Ebersberg:Analyse eines Kratzers

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Gericht muss herausfinden, wie das Auto einer Frau beschädigt wurde

Parkrempler mit anschließender Fahrerflucht gehören leider zum Alltag. Immer wieder passiert es Autofahrern, dass sie ihre Fahrzeuge parken und wenn sie zurückkehren, die Türen zerkratzt sind oder die Seitenspiegel herunterhängen, die Verursacher aber keine Nachricht hinterließen. Eine 68-jährige Frau sperrte nach eigenen Angaben nach der Arbeit die Autotür auf und bemerkte, dass die linke Fahrerseite tiefe Kratzer aufwies. Sie erstattete bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt - und erhielt kurz darauf einen Strafbefehl. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll sie den Wagen selbst gegen eine Mauer gefahren und dann die Straftat vorgetäuscht haben. Dagegen erhob die Frau Einspruch.

Mit Hilfe eines Anwalts wehrte sie sich nun vor Gericht gegen den Vorwurf. Sie beteuerte, nicht gegen eine Mauer gefahren zu sein. Auf Nachfrage des Staatsanwalts erklärte sie, dass sie eine Vollkasko-Versicherung mit einer Selbstbeteiligung von 500 Euro habe. Da sie so viele Jahre unfallfrei gefahren sei, würde sie im Versicherungsfall nicht einmal hochgestuft werden. Ein Gutachter sollte bei der Aufklärung helfen. Doch der Chemiker des Landeskriminalamtes konnte nicht sagen, wie die Kratzer zustande kamen. Nach Untersuchung der Lackspuren aber schloss er das Fahren gegen eine Mauer aus. Kalkspuren gebe es keine. Genauso wenig aber komme ein anderes Auto als Verursacher in Frage, da er in dem Abrieb keine herkömmlichen Kfz-Lacke gefunden habe. Wohl aber habe er industriellen Bautenschutzlack ausgemacht. Damit würden Laternen gestrichen, Schubkarren oder Baustellenfahrzeuge.

Schon fast entschuldigend erklärte er auf die Frage des Gerichts, dass er nicht beurteilen könne, ob das Auto gegen einen festverbauten Gegenstand fuhr oder ein Nutzfahrzeug den geparkten Wagen streifte. Zur Unfalldynamik könne er sich nicht äußern. Sein Arbeitsgebiet sei die Materialkunde.

Die Vorsitzende Richterin Vera Hörauf brachte daraufhin eine Einstellung des Verfahrens ins Spiel. Doch dies lehnte der Verteidiger ab. "Eine Einstellung gegen Auflagen?", fragte er das Gericht. Warum solle seine Mandantin einen Geldbetrag bezahlen? Sie habe nicht mal ein Motiv für eine Straftat. Das sah die Richterin anders. Die Angeklagte wolle sich die Selbstbeteiligung sparen oder es ihrem Mann nicht beichten, dass sie einen Unfall verursacht habe. Motive, die der Anwalt als "völlig aus der Luft gegriffen" bewertete. Die Staatsanwaltschaft habe nicht richtig ermittelt und nicht mal einen Unfallanalytiker bestellt. Die Richterin setzte das Verfahren aus. Man versuche nun, auf dem Büroweg eine Lösung zu finden. Solle die Staatsanwaltschaft tatsächlich ein weiteres Gutachten erstellen lassen, müsse weiterverhandelt werden.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2019 / lela
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