Prozess:Gezeter um zehn Zentimeter

Gaube Egmating

Der Schuppen mit dem Blechdach links neben der Garageneinfahrt versperrt dem Nachbarn bei der Ausfahrt aus seiner Garage (rechts) die Sicht.

(Foto: oh)

In Egmating eskaliert ein Nachbarschaftsstreit in einem skurrilen Prozess: Die Kläger stören sich an einem Fahrradschuppen. Weil der aber ordnungsgemäß genehmigt wurde, finden sie einen anderen Makel.

Von Korbinian Eisenberger, Egmating

Dachgauben sind Fenster-Giebel in Schrägdächern, man kann dadurch zu den Nachbarn rüber winken und Nettigkeiten austauschen. Man kann sich aber auch eine Menge Ärger mit ihnen einhandeln, wie ein Fall in Egmating zeigt. Dort hat der Nachbar eines Neubaus geklagt, weil die Gauben auf dem nachbarlichen Hausdach laut Bebauungsplan zehn Zentimeter zu groß geraten sind. Am Mittwoch nahm das Verwaltungsgericht aus München das Malheur nun in Augenschein. Die überraschende Feststellung: Eigentlich geht es um etwas ganz anderes.

Der Verwaltungsrichter Korbinian Heinzeller zählt zur volksnahen Gattung unter den Juristen. Er war an diesem Mittwochnachmittag mit dem Ziel gekommen, den Streit in irgendeiner Form zu beenden. Doch Heinzeller musste schnell feststellen, dass er es hier mit einem Kaliber der deftigeren Art zu tun hatte: Das benachbarte Ehepaar hatte zwar auf dem Papier wegen der zehn Zentimeter zu großen Dachgauben geklagt. Ihr Anwalt machte aber schnell klar, dass die Beschwerde in erster Linie als Druckmittel in einer anderen Sache gedacht sei. Das eigentliche Anliegen des Ehepaars: Sie wollen erreichen, dass die Nachbarn ihren Schuppen absenken. Im Gegenzug, so das Angebot, würden sie die Gauben-Klage zurücknehmen.

Bei der mündlichen Verhandlung wurde schnell deutlich, welch lokale Dimension die Gauben-Klage hat: In Egmating ist der Nachbarzwist am Ortsrand seit Jahren Dorfgespräch, beim Frisör, im Laden, beim Wirt. Begonnen hat all das vor drei Jahren. 2014 stellte der Bauherr ein Gebäude mit sechs Wohnungen und einem angrenzenden Fahrradschuppen fertig - der Kern allen Übels. "Der Schuppen versperrt beim Herausfahren die Sicht auf die Straße", so der Anwalt. Seine Mandanten wollten deshalb erreichen, dass die Nachbarn den Radschuppen am Eck tieferlegen. "Man sieht die Autos sonst nicht mehr", sagte Fabian Gerstner, der Anwalt des Ehepaars.

Gerast wird auf der Straße am Ortseingang gewaltig, das ist an diesem Nachmittag zu sehen, daran ändert auch das "Vorsicht Ausfahrt"-Schild nichts. Der Schuppen versperrt teilweise die Sicht auf die Straße, zumindest wenn man in einem Auto sitzt und rückwärts ausparken will, ohne den Schuppen wäre es sicherer. Weil der Schuppen aber ohnehin schon 25 Zentimeter niedriger gebaut wurde als theoretisch möglich, gibt es hier keine Grundlage für eine juristische Beanstandung. Also klagte das Ehepaar gegen die Gauben.

Richter Heinzeller hatte nun die Aufgabe, eine Entscheidung zu treffen, auch wenn es ihn wenig dazu drängte. "Ich fälle ungern Urteile, die keinem etwas bringen", sagte er, nachdem er sich die Gauben und den Schuppen angesehen hatte. Doch am Ende blieb ihm nichts anderes übrig. "Die Gauben sind zu groß, da gibt's nichts dran zu rütteln", sagte er. Und so gab er dem Nachbar-Ehepaar in der Klage recht. Allerdings muss der Bauherr die Gauben nicht verkleinern, sondern den Fenstern lediglich einen Rahmen vorbauen, so dass sie optisch kleiner wirken. Kostenpunkt: knapp 5000 Euro, ein Drittel dessen, was die Tieferlegung des Schuppens gekostet hätte.

Was wie ein schlechter Witz klingt, ist purer Ernst. Außerdem hat diese Entscheidung den Schuppen-Zwist freilich längst nicht beigelegt. Sonderlich erheitert war am Ende jedenfalls niemand im Egmatinger Nieselregen. Die Prozessgewinner zogen sich recht schnell in ihr Haus zurück. Die Mitarbeiter des Ebersberger Landratsamts suchten ebenfalls schnell das Weite. Ihrer Behörde galt die Klage des Ehepaars, weil sie die Baugenehmigung erteilt hatte. Möglicherweise legt das Landratsamt Berufung ein, das ist noch offen.

Die meisten der 14 Leute, die in dem Neubau wohnen, kommen von außerhalb Bayerns. Einer von ihnen ist Klaus Kalodziej, er stammt aus Mönchengladbach und zog kurz nach der Fertigstellung in das Mehrparteienhaus ein. "Seitdem herrscht hier Krieg", sagt er. Es wurde darüber diskutiert, einen Straßenspiegel an der Gefahrenstelle aufzustellen, finanzielle Angebote unterbreitet, doch da wurde man sich nicht einig. Jetzt hat die 9. Kammer des bayerischen Verwaltungsgerichts einen Hausbesuch gemacht - und nächste Woche werden sie im Dorf fragen, wie es gelaufen ist, und wie es weitergeht. Kalodziej wird dann sagen, dass sie im Prinzip genauso weit sind wie vorher.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: