Amtsgericht EbersbergDas verhängnisvolle Video

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Symbolfoto.
Symbolfoto. (Foto: dpa)

Ein Mann erhält auf WhatsApp ungefragt einen 21-sekündigen Clip mit problematischem Inhalt. Nun wird er deswegen verurteilt.

Aus dem Gericht von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Zweifellos war der Angeklagte mit diesem Richterinnenspruch unzufrieden. "Sie haben mich verurteilt obwohl ich unschuldig bin", ließ der Mann durch seinen Übersetzer erklären. Richterin Vera Hörauf hatte den Mann des "unerlaubten Besitzes kinderpornografischer Schriften" für schuldig befunden. Alles wegen eines 21-sekündigen Clips, zu dem der Angeklagte sagte: "Ich habe das Video nie gesehen."

Das Problem des 37-Jährigen: In den Augen der Staatsanwältin und letztlich auch der Richterin hat er das Video besessen - und darum ging es am Dienstagnachmittag vor dem Ebersberger Amtsgericht. Ermittlungen hatten ergeben, dass im Juli 2019 ein Video über den Nachrichtendienst WhatsApp auf einem Handy gelandet war, das die Polizei dem Namen des Angeklagten zuordnen konnte.

Das Video zeigt einen unbekleideten Bub

Das Video zeigt einen kleinen Bub mit unbekleidetem Schritt. Angefertigt wurde es vom Vater des damals Dreijährigen, der es schließlich unter anderem dem nun Angeklagten schickte. Der Vater hatte das Video zudem auf den Online-Netzwerken Facebook und Tiktok veröffentlicht, wodurch eine weit größere Öffentlichkeit zeitweise Zugriff darauf hatte. Dafür war der 32 Jahre alte Vater des Kindes bereits im April vom gleichen Gericht zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe und 1000 Euro Geldbuße verurteilt worden.

Reichlich kurios sind die Hintergründe beider Prozesse, in denen ja die Staatsanwaltschaft wegen Kinderpornografie ermittelt. Denn: Sowohl beim Sender als auch beim Empfänger des Videos handelt es sich dem Vernehmen nach nicht um Triebtäter. Beide stammen aus Bulgarien und waren seinerzeit Arbeitskollegen, dies ist wichtig, um die wahrscheinliche Intention des Videos zu verstehen. Den Erklärungen des als Zeugen geladenen Vaters nach sei es unter der türkischen Minderheit in Bulgarien üblich, dass Väter anlässlich des Beschneidungsfestes ihrer kleinen Söhne deren Geschlechtsteil etwa den Verwandten zeigen. Der Zeuge entschuldigte sich im Prozess am Dienstag und erklärte: "Ich wusste nicht, dass das verboten war."

Die Richterin glaubt dem Angeklagten nicht

Richterin Vera Hörauf bekräftigte dieses Verbot mit ihrem Urteilsspruch. Im Sinne von: Womöglich lautere Intention schützt vor Strafe nicht, wenn das Ergebnis missverstanden werden kann. Dass die Polizei bei der Hausdurchsuchung des Angeklagten im nördlichen Landkreis Ebersberg weder das Handy noch das verhängnisvolle Video entdeckten, half dem 37-Jährigen nicht. Dass er das Handy zum Zeitpunkt der Versendung des Videos "schon lange verloren" hatte, glaubte ihm die Richterin nicht. Auch nicht seine Erklärung, den Clip nicht angesehen zu haben.

Die Umstände des bulgarischen Rituals hingegen berücksichtigte die Richterin durchaus - und zwar bei der Bemessung der Strafe. Dem Angeklagten kam außerdem zugute, dass er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war. Die Staatsanwältin hatte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro gefordert. Der Verteidiger hatte Freispruch beantragt. Richterin Hörauf kam zu dem Ergebnis von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro. Der Angeklagte und sein Verteidiger machten noch im Gerichtssaal Andeutungen, Rechtsmittel einzulegen, um ein milderes Urteil zu erwirken.

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