Ein Wald ohne Blätter und Nadeln, hunderte von Hektar abgestorbener Bäume, grau, morsch und tot. Gar nicht so einfach, sich vorzustellen, dass diese Beschreibung auf den Ebersberger Forst zutreffen soll. Erst recht nicht, wenn man mit Winterstiefeln durch das Gehölz stapft und den Nadelgeruch einsaugt. So oder so ähnlich aber könnte es hier einmal aussehen. Und zwar schon in so naher Zukunft, dass viele Ebersberger Landkreisbürger von heute diesen Anblick noch zu sehen bekommen könnten.
Die Bayerischen Staatsforsten haben einen Ausblick in die Zukunft des Ebersberger Forsts gegeben, der ernsthaften Anlass zur Sorge gibt. Bei einer Waldbegehung am Donnerstag unweit der Hohenlindener Sauschütt präsentierte Forstbetriebsleiter Heinz Utschig verschiedene Szenarien, wie sich der Ebersberger Forst durch den Klimawandel verändern könnte. Im schlimmsten Fall könnte die Durchschnittstemperatur in der Region demnach bis zum Jahr 2070 so stark ansteigen, dass heimische Bäume wie etwa die Fichte nicht mehr standhalten können - und absterben.
Die jährliche Durchschnittstemperatur für Ebersberg liegt derzeit bei 8,6 Grad Celsius und steigt seit Mitte der 1960er Jahre stetig an. Die Zahlen entnimmt der Forstbetrieb Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdiensts. Die Prognose wiederum wurde unlängst vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) veröffentlicht, welche Klimaprognosen regionsweise spezifiziert. Das PIK ist Referenz für sämtliche staatliche Institutionen.
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Die Zahlen des Instituts zeigen zwei Extrem-Szenarien: Im Idealfall entwickelt sich das Ebersberger Klima demnach so, dass die Temperatur in den kommenden 50 Jahren gleich bleibt. Was reine Utopie ist, weil nur möglich, falls der globale Klimawandel umgehend gestoppt würde, was mindestens Regierungswechsel in Brasilien und den USA voraussetzen würde. Dem gegenüber steht das schlimmste anzunehmende Szenario der PIK-Prognose: Danach würde die Ebersberger Jahrestemperatur von derzeit 8,6 auf dann 11,2 Grad ansteigen, was sämtlichen Baumarten im Ebersberger Forst - mit Ausnahme der Eiche - den Garaus machen würde. Alle anderen PIK-Szenarien liegen irgendwo dazwischen. Was die Frage aufwirft, welches Szenario derzeit am wahrscheinlichsten ist. Wie sieht der Ebersberger Forst im Jahr 2070 aus?
"Fichten wird es zwischen 9,5 und zehn Grad zu heiß"
Dieser Frage ging Forstamtsleiter Utschig selbst nach. Seine Prognose orientiert sich an dem aus seiner Sicht bestmöglichen Szenario für den Forst, das gleichermaßen gerade noch realistisch erscheint. Also an der Einhaltung des sogenannten 1,5-Grad-Ziels, das sich die bayerische Staatsregierung auferlegt hat: den Temperaturanstieg durch Treibhauseffekt in Bayern dauerhaft auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nach Utschigs Rechnung würde die Temperatur in der Region sich in 50 Jahren bei 10,1 Grad eingependelt haben.
Was heißt das für den Wald und seine Bäume? Auch dies klärte Utschig, bei dieser Grad-Wanderung durch den Ebersberger Forst. Nicht zuletzt, um seine Zuhörer zu alarmieren, unter ihnen die Europa-Abgeordnete Angelika Niebler von der CSU und ihre Parteikollegen Andreas Lenz aus dem Bundestag sowie Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß. Utschigs Einschätzung nach wäre die Fichte - falls das derzeit auferlegten Klimaziel tatsächlich erreicht würde - dennoch dem Untergang geweiht. "Fichten wird es zwischen 9,5 und zehn Grad zu heiß", so Utschig. Was gravierend wäre, da die Fichte im Ebersberger Forst nach Stand der Inventur 2016 immer noch 62 Prozent des Bestandes ausmacht. Andere Baumarten wie Buchen und Douglasien (Risikogrenze bei 11,0 Grad), Lärchen und Tannen (10,5 Grad) und die Eiche (mit 12,0 Grad das Saunaholz unter Bayerns Baumarten) würden bei diesem Szenario noch standhalten.
Das Problem der Fichte: Sie ist Flachwurzler, ragt also nur 30 Zentimeter tief in den Waldboden, der ja Wasserspeicher ist. Fichten haben dadurch Zugriff auf ein geringeres Wasserreservoir als etwa Buchen, deren Wurzeln gut und gerne 70 Zentimeter in den Boden ragen. In Trockenperioden - und die werden laut Wetterdienst in der Region Ebersberg immer häufiger und länger - verliert die Fichte mangels Wasser so schneller ihre Abwehrkräfte. Und so hat sich der Buchdrucker-Borkenkäfer Ips typographus wohl nicht ganz zufällig auf Fichten spezialisiert, die er invasionsartig überfällt und so ganze Waldgebiete ausrottet. Zu sehen ist das in Teilen Niederbayerns, wo sich der Käfer klimatisch schon jetzt viel zu wohl fühlt.
Utschig hat die Prognose für sein Zuständigkeitsgebiet errechnet, wahrscheinlich sähe es für viele Wälder in Bayern ähnlich aus. Ob das von Utschig als Realszenario angenommen politische Ziel erreicht wird, liegt in Händen von Politikern in Washington, Brüssel, Berlin oder München. Forstbetriebe wie die von Utschig gehen ihre eigenen Wege. "Wir müssen die Fichte noch deutlich mehr reduzieren und durch robustere Baumarten ersetzen", sagt er. Langfristiges Ziel: Eine stete Annäherung an jenen Mischwald, den es im Ebersberger Forst vor Hunderten von Jahren einmal flächendeckend gab.