Premiere in Moosach:Himmlische

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Muss sich ihr Podest selbst bauen: die Gottesmutter in der Performance von Nezaket Ekici, die im Meta Theater Premiere feiert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Performance von Nezaket Ekici "Dem Himmel so nah" im Meta Theater macht das Besondere im Normalen sichtbar.

Von Ulrich Pfaffenberger, Moosach

Nach der Rückkehr aus dem Meta-Theater am Samstagabend führt der erste Schritt zum Bücherschrank. Da war doch was mit protestantischer Arbeitsethik bei Max Weber? Siehe da, die Erinnerung täuscht nicht: Die Maxime von Johannes Calvin, "alle Arbeit zur Ehre Gottes", die von Gottesfurcht und Erlöserglauben getriebene Selbstausbeutung, gilt dem Soziologen und Ökonomen Weber als Grundstock des Kapitalismus, gleichsam als Fondssparplan aufs Paradies.

Anders als die Maxime Calvins betrachtet die Performance von Nezaket Ekici "Dem Himmel so nah" das mühsame Heranarbeiten an die ewige Glückseligkeit nicht gewinnorientiert, sondern als zutiefst menschliches Streben, Hindernisse zu überwinden und der eigenen Schaffenskraft freien Lauf zu lassen. Bei der Premiere ihres neuen Werkes in Moosach schafft die Künstlerin, einst Meisterschülerin der Performance-Ikone Marina Abramović, einen Raum, in dem sie das Leben der Gottesmutter Maria verdichtet, die sich redlich und kräfteraubend müht und, aus ihrem Glauben zehrend, keine Mühe scheut. Am Ende steht, aus Strohballen erbaut, eine Pyramide in der Mitte des Theaters, auf deren höchsten Punkt gebettet Maria nach vielen Seufzern mit dem letzten Atemzug ihr himmlisches Ziel erreicht.

Allein schon die Erkenntnis, dass sie das Podest selbst haben bauen müssen, auf das wir die Gottesmutter in der Kirche und unsere eigenen Mütter rückblickend stellen, ist dem Auftritt hoch anzurechnen. Wie es Ekici gelingt, scheinbar belanglose und gleichförmige Arbeiten immer wieder mit neuen Begleit- und Untertönen zu versehen, ist gleichwohl noch viel mehr wert, anerkannt zu werden. Jeder Seufzer, jedes Ächzen, jedes Stolpern und jeder Mut schöpfende Blick auf den nächsten Schritt, den nächsten Ballen - das alles ist so prägnant gesetzt, dass keine Sekunde die Gedanken abschweifen oder man sich fragte, wie lange das jetzt wohl noch gehen soll. Wer Zweifel hat, ob es wirklich fesselnd ist, jemandem eine gute Stunde beim Kehren eines Hofes oder beim Einräumen eines Regals zuzusehen, bekommt eine Lektion darin, mehr noch: eine Inspiration, das Besondere im Normalen zu erkennen.

Ob diese Maria nun zum Vorbild für ein erfülltes Leben taugt oder als abschreckendes Beispiel, wie man sich im Alltag aufarbeitet in der Hoffnung auf die ewige Glückseligkeit, sei dahingestellt. Für die wachen und empathischen Menschen im Moosacher Publikum dient - im klassischen Sinn des Wortes - dieser Auftritt als Anregung dazu, genau hinzusehen bei den Menschen und Tätigkeiten, die man für Routine und Alltag hält. Um die Frage anzuschließen: Wenn die Gottesmutter sich so für ihren Sohn aufreibt, für wen bin ich denn der "Gott", dass er mir solche Opfer bringt?

Es lohnt sich, aufmerksam zu sein: Nicht jeder Plan im Leben Marias geht hier auf. Anders als genormte Legosteine und Bauklötzchen erlauben die wild und krumm gepressten Strohballen keinen stetigen und formvollendeten Aufbau. Mal fügt sich ein Ballen nicht mehr in die vorgesehene Lücke und muss von Maria mit Kraft hineingedrückt und -gerüttelt werden. Mal rutschen die eng zusammengeschobenen Elemente auseinander, es entstehen Klüfte und Lücken, die zu Stolperfallen werden oder den sicheren Halt erschweren. Die gebauten Ebenen und Stufen geraten derart unregelmäßig, dass der Meister am Bau die Ausführende wohl kräftig zurechtweisen würde.

Allein: Maria übernimmt die Verantwortung und die Folgen allein für sich, kämpft sich durch, akzeptiert ihr Scheitern. Sie unternimmt zweite und dritte Anläufe, um das gewünschte Ergebnis doch noch bestmöglich herbeizuführen. Es klingt einem der Ruf der eigenen Mutter im Ohr: "Kind Gottes!", wenn mal wieder etwas grandios schiefgegangen ist. Wie beruhigend, dass die wahre Gottesmutter auch nicht besser dran war. Im Verlauf der Performance verkürzen sich die Abstände zwischen den Gebeten genauso wie zwischen den Arbeitsschritten, der Atem wird schwerer, aus dem Lobgesang verschwinden die Vokale, ein schwaches Summen tritt an ihre Stelle. Am Ende dann dieser Blick: Herrgott, genügt es noch nicht? Müssen die drei Ballen auch noch sein? Bevor die Antwort erfolgt, dann der beherzte Griff, das Aufbäumen gegen das Scheitern.

Ins Gesamtkunstwerk fügt sich nahtlos hinein, was im Programmblatt bescheiden unter "Sound: Pit Holzapfel" vermerkt ist. Der spielt von seinem elektronischen Steuergerät gelegentlich die Stör- und Kratzgeräusche ein, die zum Leben dazugehören, sammelt gleichzeitig die Seufzer, das mühebeladene Ächzen und die Lobgesänge Marias, um daraus, je näher sie dem Himmel kommt, das feine Singen und Summen der Engel zu formen, die sie begleiten. Lippo Memmi hat vor rund 700 Jahren ein Bild "Die Himmelfahrt Mariae" gemalt, das Ekici inspiriert hat, darauf sind die Engel gleichförmig, stumm und blass. In der Performance bleiben sie zwar unsichtbar, erhalten durch ihre Stimmen aber mehr Kraft als ein bloßes Echo - denn sie liefern im Dialog mit Maria und allen Zuhörern die Antwort auf die Frage: Ist da jemand?

Die Auffahrt in den Himmel dann ikonisch: Ganz im Stil ihrer geschnitzten und gemalten Ebenbilder öffnet die Ekici-Maria ihre Hände, breitet die Arme zum Himmel aus. Doch nicht die Person selbst erfährt die Aufnahme, es ist ihre Seele, der Schatten im Lichtkegel hinter ihr, dem dieser Dank zuteilwird. Im Applaus der rund zwei Dutzend im Publikum schwingt am Ende Staunen und Anerkennung über das Erlebte mit, über eine Performance, bei der die Künstlerin an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit gegangen ist und in der sie ohne Worte eine Geschichte erzählt hat, in der eine tiefe und ewige, in vielen Formen wiederkehrende Wahrheit steckt.

Die Dokumentation der Performance wird am Freitag und Samstag, 24./25. September, jeweils um 19 Uhr im Meta Theater gezeigt. Beim Publikumsgespräch am Freitag ist die Künstlerin anwesend.

© SZ vom 20.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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