Premiere in der Grafinger Stadthalle:Abgeliefert

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Michael Siegert und Ferdinand Maurer von "FKK" meistern ein Improtheater ohne Publikum mit Bravour

Von Anja Blum

Es sind nur ein paar kleine Bewegungen. Michael Siegert dehnt den Hals, erst rechts, dann links, lässt die Schultern kreisen, schüttelt die Beine aus. Wie ein Läufer kurz vor dem Startschuss. Und tatsächlich hat das, was Siegert gleich tun wird, viel mit Sport gemein. Hartes Training ist nötig, bis diverse Abläufe und Techniken in Fleisch und Blut übergegangen sind. Und dann, wenn es losgeht, braucht es höchste Konzentration gepaart mit größter Lockerheit. Dann muss Siegert auf den Punkt da sein und abliefern. Und das tut er. Zusammen mit Ferdinand Maurer hat Michael Siegert die einmalige Herausforderung angenommen, Improtheater zu spielen - vor leeren Tischen. Und sie haben Gold geholt.

Überall im Land experimentieren die Kulturschaffenden wegen all der Corona-Beschränkungen gerade mit Geisterveranstaltungen, denen das Publikum nur virtuell beiwohnen darf. So auch Sebastian Schlagenhaufer, Intendant der Grafinger Stadthalle. Alle möglichen Formate hat er schon getestet - nun also Improtheater. Die besondere Herausforderung besteht hier darin, dass dafür eigentlich dringend Zuschauer nötig sind, denn sie geben den Darstellern den nötigen Input. Das Publikum ersetzt, wenn man so will, das Drehbuch und den Regisseur, denn die Schauspieler agieren auf Zuruf aus dem Parkett. Genau diese höchst kreative Interaktion aber bringt Schlagenhaufer auf den Plan. In seinen Augen nämlich soll der Livestream einer Kleinkunstbühne stets mehr bieten als ein Fernsehprogramm. Und das ist mit dem Improtheater-Abend bestens gelungen: Die rund 50 Zuschauer sollen per Chat nicht nur Feedback geben, sondern auch als Ideengeber fungieren - und machen von dieser Möglichkeit rege Gebrauch. Ihr sucht ein Gefühl? Einen Dialekt? Einen geistreichen Songtitel? Bitte, sehr gerne! "Verschiebe nichts auf morgen, was du auch auf übermorgen verschieben kannst." Das wird der nächste Country-Hit, ganz bestimmt.

"Nicht anfassen!" Unter diesem Motto steht das Improtheater in Corona-Zeitenvon Michael Siegert (rechts) und Ferdinand Maurer in der Grafinger Turmstube. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Setting auf der Bühne ist schlicht: drei Barhocker, das war's. Unterstützt werden die beiden Darsteller von Florian Lentz, der Grafinger Gitarrist besteht seine Feuertaufe als Impro-Musiker bravourös. Vor allem beim "Radiointerview" samt Songeinlagen erweist er sich als höchst verlässlicher, versierter und sensibler Partner. Bevor die Turmstube online geht, herrscht gespannte Konzentration, schließlich weiß keiner, ob das Experiment gelingen wird. Für die Technik, für Sound, Licht und Stream, zeichnen Wolfi Heller und Klaus Welm verantwortlich.

FKK heißt das Improtheater-Ensemble von Maurer und Siegert, das steht für "frei, komisch, kreativ". Ihren Anfang nahm die Gruppe vor Jahren im Markt Schwabener Theaterverein, unter den Fittichen von Regisseurin Marga Kappl. Auch Schlagenhaufer ist Mitglied von FKK und sein Improtheater-Expertise kommt dem Abend sehr zugute: Schlagenhaufer moderiert. Sprich: Er erläutert den Zuschauern in launigen Dialogen mit den zwei Darstellern immer wieder das weitere Procedere, beobachtet den Chat und gibt die besten Ideen daraus weiter auf die Bühne. Eine Vorgehensweise, aus der sich völlig neue Möglichkeiten für das Improtheater ergeben, denn Schlagenhaufer kann als Moderator direkt in die Szenen eingreifen - was das Publikum normalerweise nicht tut. "Stop, Ferdinand, du bist jetzt verzweifelt", ruft er rein, und schon nimmt die Geschichte rund ums "Homeoffice" eine völlig neue Wendung. Es folgen noch Wollust, Langeweile und, ja, auch Blähungen. Ein echt starkes Gefühl.

Florian Lentz steuert Musik bei. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Innerhalb der Disziplin Improtheater gibt es diverse Formate, grobe Spielvorgaben, die eben jeweils spontan, per Zuruf, mit Inhalt gefüllt werden. Für den Livestream aus der Turmstube haben Maurer und Siegert solche ausgewählt, die mit dem nötigen physischen Abstand auf der Bühne funktionieren, sprich eher sprachlastige Formate. Dazu zählen zum Beispiel die "Gebärdensprache": Der eine erzählt etwas, der andere übersetzt lautlos, mit ausufernder Gestik und Mimik. In diesem Fall hält Siegert die Rede eines Brautvaters - der ein Angestellter des Bräutigams ist. Ein Mordversuch mittels "Nüsschenallergie" scheiterte, aber wenigstens gab es im Gegenzug für "die kleine Prinzessin" eine saftige Gehaltserhöhung. Das allein ist schon sehr lustig, zum Schreien komisch aber wird die Szene durch das kongeniale Zusammenspiel der Akteure: Siegert wählt eine sehr bildreiche Sprache ("er hatte ein Auge auf sie geworfen"; "da bin ich aus allen Wolken gefallen"), so dass Übersetzer Maurer sich völlig verausgaben kann. Sogar Purzelbäume schlägt er.

Ein anderes Impro-Format gibt vor, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen und sich dabei abzuwechseln - nach jedem Wort. Die Vorgabe vom Publikum, gesucht war eine brenzlige Situation, ist ein brennendes Haus, aus dem wegen Corona keiner raus darf. Doch bei diesem Thema kommen Maurer und Siegert niemals an. Weil es so schwer ist, anhand eines einzigen Wortes zu erraten, wohin der andere gedanklich will, vergaloppieren sie sich völlig. Fabulieren von einem Kobold und einer Hexe, samt Warze am Hintern. Doch das macht überhaupt nichts, ganz im Gegenteil. Die Lachtränen fließen gerade wegen dieser Absurditäten.

Sebastian Schlagenhaufer moderiert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gutes verheißt auch die "außergewöhnliche Geschäftsbeziehung", die ein Zuschauer für das Format "Deutschlandreise" vorschlägt: "ein Mafioso und seine Geisel". Diese Szene exerzieren Siegert und Maurer in allen möglichen Dialekten und Akzenten durch - von fränkisch, hessisch und schwäbisch über "Kanack-Sprech" bis hin zu Schwiizerdütsch. Neben der Komik, die das mit sich bringt, zeigt die Szene deutlich, wie assoziativ unser Gehirn Sprache verarbeitet: Ein Gangster, der sächselt, ist einfach nicht ernstzunehmen.

Die Zuschauer, alle haben einen freiwilligen Obulus für die Gage der Künstler beigesteuert, füttern die Akteure fleißig mit Ideen, tun aber auch immer wieder ihre Begeisterung kund. Der Chat strotzt nur so vor Smileys und Konfetti, beim nahenden Abschied fließen die ersten Tränen. "Weltklasse!", lobt einer, völlig zu Recht. Wer, wenn nicht diese Improvisationsprofis, kann so eine Geistershow rocken?

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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