Premiere am Donnerstag:Ein amoralisches Angebot

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In dem Film "Blind Date" des Wasserburgers Peter Ludwig vermittelt eine Agentur Mörder an Menschen, die sterben wollen. Die Frage nach Richtig oder Falsch gibt es in dieser Dystopie nicht

Von Johanna Feckl

Sofort haben Annes Eltern den Zettel unterschrieben. Ohne ihr Einverständnis hätte es nicht geklappt. So sind die Regeln bei Minderjährigen - Anne ist erst 17. Ihre Freundin ist neidisch. Gerne würde sie es Anne gleichtun. Aber solange die Eltern nicht mitspielen, wird es zu keinem Vertrag mit der Agentur kommen. Eine Agentur, die Auftragsmörder an Menschen vermittelt, die getötet werden wollen.

Das Thema, das sich der Wasserburger Komponist und Pianist Peter Ludwig für seinen neuen Film "Blind Date" vorgenommen hat, ist ein Dauerbrenner in der praktischen Philosophie: aktive Sterbehilfe. Erst kürzlich hat der Weltärztebund eine Erklärung veröffentlicht, in der ärztlich unterstützter Suizid abgelehnt wird. Das heißt zum Beispiel, dass ein Arzt dem Wunsch eines entscheidungsfähigen Patienten nicht nachkommt und dessen Tod herbeiführt, indem er entsprechende medizinische Mittel verabreicht. In Deutschland verbieten Gesetze, dass Ärzte so handeln, in Belgien und den Niederlande ist aktive Sterbehilfe erlaubt. Was trägt moralisch mehr Gewicht: Die Willensfreiheit und damit in diesem Fall der Wunsch zu sterben - oder das Gebot, niemanden zu töten?

Irgendwo hier, bei dieser großen moralischen Frage, nimmt Peter Ludwig den Ausgangspunkt für "Blind Date". Der 68-Jährige aber spinnt den Gedanken noch viel weiter: Es gibt Menschen, die sterben wollen, ihrem Leben aber nicht selbst ein Ende setzen möchten. Und es gibt andere, die gerne töten. "Geborene Mörder" nennt Ludwig diese Sorte von Menschen. Was passiert, wenn man diese zwei Gruppen zusammen bringt, und zwar in einer Dystopie, in der beide Bedürfnisse - zu sterben und zu töten - als amoralisch bewertet werden? Also: Was, wenn sich die Frage nach dem Richtig oder Falsch überhaupt nicht stellt?

Sophia Sacher spielt das Mordopfer Anne. (Foto: Privat)

In Ludwigs Welt ist diese Form der aktiven Sterbehilfe zum einen per Gesetz erlaubt und zum anderen keine moralisch bewertbare Handlung. Alles weitere, die einzelnen Handlungsstränge haben sich dann ergeben. Wenn man anfängt, etwas zu schreiben, dann sei immer ungewiss, wo es hingeht, sagt der Autor. Im Grunde genommen sei nur ein gutes Motiv wichtig. Eines, das ein Gedankenexperiment, ein "Was-wäre-wenn-Spiel" lohnenswert macht. Woran sich festmachen lässt, ob es sich lohnt? "Das spürt man", sagt Ludwig.

Als er es bei diesem Stoff endgültig gespürt hat, war es April 2019. Drei Wochen später, im Mai, haben die Dreharbeiten begonnen. In "Blind Date" gibt es zwei Protagonisten: Die Leiterin der, nun ja, Vermittlungsagentur, die Menschen mit Sterbewunsch und solche mit Tötungswunsch zusammenbringt, heißt Madame Fossoyeur. Einer der dort angestellten Auftragsmörder ist Oliver Schnitt. Die Darsteller Susan Hecker und Hilmar Henjes sind Freunde von Ludwig. Und professionelle Schauspieler, beide sind aktuell in der Inszenierung von "Pension Schöller" im Theater Wasserburg zu sehen. Die übrigen Schauspieler sind Laien.

Der Wasserburger Komponist und Pianist Peter Ludwig ist der Regisseur des Filmes "Blind Date". (Foto: Privat)

30 Tage dauerten die Dreharbeiten, bis in den Oktober hinein. Immer dann, wenn es zeitlich geklappt hat, haben sie gedreht. Meistens drei bis vier Stunden pro Treffen. Der Film ist eine No-Budget-Produktion. Ein paar hundert Euro hat Ludwig investiert - in der Branche ist das praktisch nichts. Auch seine beiden Protagonisten Hecker und Henjes haben keine Gage für ihr Engagement bekommen. "Blind Date" ist für alle Beteiligten ein reines Freizeitprojekt gewesen.

"Ich bin Musiker - ich lebe ja nicht vom Filmemachen", sagt der 68-Jährige. Für den Künstler kommt das bewegte Bild einem leidenschaftlichen Hobby gleich, keiner Auftragsarbeit. Ihm ist es wichtig, keinen Atem von Produzenten im Nacken zu spüren. Kein "das verkauft sich nicht" oder dergleichen zu hören. Er möchte einfach mal machen, kreativ sein. Das sei auch ein Aspekt, den Hecker und Henjes zu schätzen wüssten. Bei vielen bezahlten Produktionen könnten sie ihre eigene Kreativität nicht groß einbringen, Interpretationsspielraum für die eigene Rolle gibt es häufig gar nicht. Bei "Blind Date" aber war das nicht nur möglich, sondern ausdrücklich gewünscht. Eine Gemeinschaftsarbeit. Ludwigs Drehbuch war nur das Grundgerüst, die pure Essenz für den Film.

Im Film spielt Hilmar Henjes einen Mörder. (Foto: Privat)

Ludwig hält das für ideale Bedingungen, um Kreatives zu produzieren. Geld spielt zunächst keine Rolle, niemand wird über- oder unterbezahlt. "Es gibt nur die Hierarchie der Idee", erklärt der Künstler.

Die Idee, das Nicht-Greifbare ist es, was auch "Blind Date" vorantreibt. Obwohl der Film vom Sterben und Töten handelt, zeigt er kein einziges Mal einen Mord. Bevor die Auftragsmörder den Agenturkunden endgültig den Garaus machen, kommt ein Schnitt. "Ich wollte bewusst kein Blut zeigen", sagt Ludwig. "Das sieht man doch ständig im Alltag, sobald man einen Blick in die Nachrichten wirft." Ihm gehe es um ein abstraktes Gedankenspiel, um die Vorstellung eines amoralischen Tötens.

Passend dazu hat Ludwig den Film in schwarz-weiß gehalten. Der 68-Jährige wollte ein reduziertes Bild erreichen, etwas Grundsätzliches ohne Ablenkung durch Farben. Dazu bilden die imposanten Gewölbe und Vintage-Möbel, die zu sehen sind, einen Kontrast - reduziert ist hier nichts mehr, aber durch diesen Antagonismus erinnert das Werk umso mehr an die Film-noir-Ära der Expressionisten.

Viele Szenen aus dem Film sind in der Wohnung von Ludwig an der Wasserburger Burg entstanden, mit Blick über die historische Altstadt. Auch die Altstadt selbst, das Parkhaus an der roten Innbrücke, der Platz unter der Rampe und der Eingang zum Theater Wasserburg sowie die Serpentinen von der Burgau hinunter in die Altstadt können Ortskundige entdecken.

Das amoralische Angebot der Agentur von Madame Fossoyeur findet seinen Konflikt, wenn sich Auftragsmörder Oliver Schnitt seiner Identität bewusst wird: Er ist Mörder. Wenn die Menschen, die er umbringt, den Tod genauso wollen wie er das Töten - wo bleibt dann der Mord?

Premiere von "Blind Date" am Donnerstag, 5. Dezember, um 19.30 Uhr im Kino Utopia, Herrengasse 5 in Wasserburg. Reservierungen und weitere Spieltermine unter www.kino-utopia.de.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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