Süddeutsche Zeitung

Preisverleihung in Vaterstetten:Zauberzeilen

Autorin Juliane Breinl präsentiert die Siegergeschichten des Literaturwettbewerbs für Kinder und Jugendliche an der VHS Vaterstetten. Außerdem wird das neue Motto bekannt gegeben: 2021 soll es um "Grenzerfahrungen" gehen

Von Nathalie Stenger

Was pocht denn da? Wie bestellt dröhnen dumpfe Schläge aus dem Nebenzimmer in den Saal. Sie untermalen die leisen, drängenden Worte einer Kurzgeschichte, in der gerade ein Unbekannter an die Holztür klopft. Beißende Kälte schlägt dem Protagonisten entgegen, als er öffnet, Schneegestöber wirbelt um eine dunkle Gestalt. "Du holst Dir den Tod!", schreit jemand - und schon ist es wieder da, das Schlaggeräusch.

Verfluchte, verzauberte und wahrhaft magische Geschichten waren bei der Preisverleihung des Literaturwettbewerbs 2020 für Kinder und Jugendliche der VHS Vaterstetten zu hören. Das Thema lautete "Orte". Pandemiebedingt fand die Lesung in kleinem Rahmen mit den fünf Gewinnerinnen und einem Gewinner sowie deren Familien im Konzertsaal der Musikschule statt - daher die rhythmische Untermalung durch Schlagzeugschüler. Dank der Unterstützung der Kreissparkasse konnte an die Gewinner jeweils ein Preisgeld von 50, 100 oder 150 Euro ausgezahlt werden.

Sie seien ja so froh, dass endlich wieder Menschen in dem Saal seien, sagten Helmut Ertel und Anja Rahimpour von der VHS, seit fünf Monaten etwa streame man von hier aus Livekonzerte. Und als zukünftiges Jurymitglied konnte Rahimpour auch gleich das neue Thema für den nächsten Wettbewerb verraten: "Grenzerfahrungen: Wenn plötzlich alles anders ist". Rahimpour betont: "Es kann um Corona gehen, muss es aber nicht". Juryleitung ist und bleibt Juliane Breinl. Die Kinder- und Jugendbuchautorin hat selbst einst einen Geschichtswettbewerb gewonnen und weiß deshalb, wie viel so ein Sieg bewirken kann. An diesem Abend wird sie die prämierten Texte, teils etwas verkürzt, lesen und zu jedem der jungen Sieger ein bisschen etwas erzählen.

Breinl beginnt mit dem ersten Platz der Alterskategorie A, den 13- bis 15-Jährigen. Lena Doll aus Germering hat eine "klassische Abenteuergeschichte" geschrieben, wie die Jurorin erklärt. "Ich mache nach dem ersten Lesen erst einmal drei Wochen Pause, um danach zu schauen, wie viel ich noch weiß", so die Autorin, "und bei dieser Geschichte war ich sofort wieder in der Materie drin!". Vor allem das Geschwisterpaar sei sehr authentisch: Lena Doll schreibt von einer genervten Schwester und einem nervigen Bruder, einem verbotenen Wald und dunklen Höhlen. Detailreich führt die 13-jährige Autorin ihre Geschichte "Die Burgruine des Schattenlichts" zu Ende: Königliche Throne und Goldtöne führen die Geschwister zu einem Geheimversteck. "Diese Geschichte hat einen Anfang, einen Hauptteil und einen Schluss", lobt Juliane Breinl. Das nehme man immer für selbstverständlich, sei in ihren Schreibkursen aber oft ein Thema, sagt sie.

Weiter geht es mit dem Text "Licht aus, Fantasie an" von Julia Maria Thoma aus Raisting beim Ammersee, die damit den zweiten Platz gemacht hat. Es gewittert, das Zimmer ist dunkel und der Hauptfigur Fred ist ganz schrecklich langweilig. "Wenn er doch nur ein Haustier hätte!", schreibt die junge Autorin. Da taucht plötzlich ein Fuchs auf, "der jedoch statt rotbraunen Fell, von neongrünen Haaren bedeckt" ist. In der Folge entführt Julia Maria Thoma den Leser auf eine Fantasiereise - zu Uno spielenden Rittern, geflügelten Pferden und fliegenden Sesseln über New York. Und das Beste? "Ich liebe es, wenn sich Anfang und Ende umarmen", schwärmt Jurorin Breinl, was bei dieser Geschichte der Fall ist, sogar generationenübergreifend.

Platz drei in der jüngeren Alterskategorie hat Amelie Niederbäumer aus Kirchheim mit "Das Haus" gemacht. "Liebes Tagebuch", schreibt sie, an Tag eins, zwei, sieben und 15. Bis Tag 27 geht ihre Erzählung, und Jurorin Juliane Breinl lobt die "sukzessive Spannung", die so aufgebaut werde. Der Ich-Erzähler bezieht ein neues Eigenheim und vertraut dem Papier seine Sorgen an. Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Haus, dauernd fehlt ein Stuhl oder Essen, sogar der Garten verändert sich. Am Ende baut Amelie Niederbäumer sogar noch einen gänzlich unerwarteten Twist ein, so dass das Publikum gebannt innehält, als Breinl die letzten Worte spricht.

Ebenso irritiert reagieren die Zuhörer auf den Schluss der nächsten Story: "Fliegen" von Veronika Koch aus Vilsheim, die als einzige der Preisträger aus Krankheits- und Vorsorgegründen daheim geblieben ist. Das Bronzetreppchen der Älteren (16 bis 18 Jahre) erreichte sie mit einer, so Breinl, "fabelhaften, bezaubernden Geschichte". In "Fliegen" geht es um das Thema Freiheit, Schmetterling, Vogel und Katze diskutieren hier verschiedene Meinungen mit der Protagonistin, deren großer Wunsch es ist, die große Stadt zu verlassen und sich von den Winden weit weg tragen zu lassen. Schließlich entscheidet sie sich für einen schwerwiegenden Schritt... Der Text habe sowohl eine innere als auch eine äußere Handlung und die Tiere seien gut skizziert, lobt Breinl.

Platz zwei bei den Großen geht an Emil Pogolski aus Vaterstetten: "Frost" heißt seine packende Geschichte, zu der das Schlagzeug so gut gepasst hat. "Man fröstelt richtig mit", sagt die Jurorin, unter anderem ein Grund für die hohe Platzierung.

Fast wie ein kleiner Roman wirke "An Orten unserer Träume" von Karlotta Hohmann aus München, sagt Breinl, "da ist etwas Philosophisches dabei, es gibt eine Botschaft". Die Erstplatzierte in Kategorie B erzählt von einer Begegnung inmitten des Ersten Weltkriegs, die Liebesgeschichte von Ruth und Edgar. Der Zuhörer sieht sich hier beinahe selbst schon das Tanzbein schwingen, so authentisch beschreibt die Autorin die historische Szenerie. Applaus!

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Quelle:
SZ vom 16.09.2020
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