Porträt:Lachen gegen den Schmerz

IKU 2.0 - Nadja Reyes

Nadiezka Rodriguez Reyes wohnt seit 13 Jahren im Landkreis.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Kuba verdiente Nadiezka Rodriguez Reyes ihr Geld als Schauspielerin. Heute bedient sie, putzt - und ist die "Mama" des Ebersberger Integrationstheaters

Von Theresa Parstorfer

Lachen ist an diesem Tag schmerzhaft für Nadiezka Rodriguez Reyes. Die 43-jährige Kubanerin kommt gerade vom Zahnarzt, und der hat "alles gemacht, was man machen kann", wie sie sagt. Ganz taub sei ihr Mund von all den Spritzen. Das ist nicht nur ungünstig für's Foto, sondern auch, weil Reyes sehr gerne lacht. Und viel. Und so lebensfroh, dass nicht Mitlachen kaum möglich ist. Für das Foto nimmt sie den Schmerz aber auf sich. Als sie sieht, wie gut ihr ein Lächeln gelungen ist, sagt sie, mit einem noch herzlicheren Lachen: "Ah Dios, eine schöne Frau bin ich, no?"

Mit diesem unaufgeregten Selbstbewusstsein, das auch Selbstironie sein könnte, hat Reyes bei der Premiere des Ebersberger Integrationstheaters das Publikum im Alten Kino verzaubert: Als ordnungsverliebte Rita in einer Multikulti-WG liefert sie einen Gag nach dem anderen. Eine weitere Aufführung des Stücks "Gestrandet. Oder der tägliche Kampf um die Fernbedienung" steht am Dienstag, 24. Juli, auf dem Programm des Ebersberger Kulturfeuers. Die vor zwei Jahren gegründete Theatergruppe unter Leitung von Frieda Wilhelmi besteht zum großen Teil aus geflüchteten jungen Männern aus Ländern wie Afghanistan, Eritrea, Somalia und Syrien.

Reyes hingegen ist nicht aus Kuba geflohen. Sie kam hierher, weil sie 2000 einen Deutschen heiratete, den sie ein paar Jahre zuvor in ihrer Heimat kennengelernt hatte. Mittlerweile ist sie es gewohnt, dass Fremde denken, sie sei eine Asylbewerberin. Vor allem, seit "so viele gekommen sind", sagt sie. Für Reyes ein Missverständnis, mit dem sie leben kann. Und dass es schwer sein kann, in Deutschland eine neue Heimat zu finden, das kennt auch sie. Deswegen tun ihr die vielen Asylbewerber leid, deswegen findet sie es schlimm, dass viele von ihnen zum Nichtstun verurteilt sind, nicht arbeiten, nichts lernen dürfen, nicht wissen, wie es weitergeht.

"So mancher Deutsche versteht nicht, dass viele der Geflüchteten nicht nach Deutschland kommen wollten, dass sie ihre Heimat vermissen", sagt Reyes. So war das anfangs auch bei ihr. Anfangs, bei einem Besuch, habe sie den Eindruck gehabt, die Deutschen seien "innen tot". Sie legt eine Hand auf ihre Brust. So wenig Emotion, so wenig Lachen. So wenig Leben auf den Straßen, so wenig Musik, so wenig Kontakt unter Nachbarn. Ja, und auch das Wetter, das machte ihr zu schaffen.

Nach ein paar Jahren Fernbeziehung zu ihrem Mann kam die Kubanerin dann aber doch, seit 2005 wohnt die 43-Jährige nun schon im Landkreis Ebersberg. "Er hätte mehr aufgeben müssen als ich", erklärt Reyes. Sie allerdings musste auch auf einiges verzichten: Theater, Radio, Fernsehen. In all diesen Bereichen war Reyes in ihrer Heimat tätig. "Ich kann nicht stillhalten", sagt sie und unterstreicht das mit einer entschiedenen Geste, der rosa-glitzernde Nagellack an ihren Fingern blitzt dabei auf. Nicht stillhalten, nicht nichts tun - und vor allem nicht ohne Musik, Theater und Kunst leben.

Schon zu Schulzeiten, im Alter von zehn Jahren, stand Reyes auf der Bühne, sang in Chören und Opern. Dann bewarb sie sich an der Escuela Profesional de Arte Manuel Muñoz Cedeño, obwohl sie nicht zu hoffen wagte, einen der begehrten Plätze an der Schauspielschule zu ergattern. Mit ihren Freunden wettete sie sogar um eine Flasche Rum - dagegen. Letztlich aber musste sie die Flasche besorgen, sie war gleich beim ersten Versuch aufgenommen worden. "Ich war glücklich dort", sagt Reyes.

Freilich, über Dinge, die in Kuba politisch falsch laufen, könnte die 43-Jährige einen ganzen Tag lang reden, doch kulturell habe das Land einiges zu bieten. "Es gibt dort viele Möglichkeiten, um Kultur auch in kleine Dörfer zu bringen", sagt sie. In der Provinzhauptstadt Ciego de Avila konnte sie zudem von ihrem kreativen Beruf leben, als Teil von zwei lokalen Ensembles, als Redakteurin beim Radio. "In Deutschland ist so etwas sogar als deutscher Schauspieler schwierig", sagt sie. Als Kubanerin quasi unmöglich.

Deshalb geht Reyes in Deutschland putzen. Und kellnert. Früher wäre das mit ihrem Stolz nicht zu vereinbaren gewesen, heute "macht mir das nichts mehr aus", sagt sie. "Man wird eben älter." Und sowohl im Wirtshaus Taglaching als auch in den Privathaushalten, in denen sie die Böden wischt, sei die Stimmung derart familiär, dass sie gerne dort arbeite.

Wovon sie ihr Stolz tatsächlich abhielt, war, wieder zurück nach Kuba zu gehen, als die Ehe nicht mehr funktionierte. "Das war der Moment, in dem ich hätte zurückkehren können", sagt Reyes. Wie ein Versagen wäre ihr das aber vorgekommen. Also blieb sie - und verpflichtete sich dadurch in gewisser Hinsicht selbst dazu, ein Leben in Deutschland auf Dauer anzunehmen und aktiv zu gestalten. So ein Entschluss "verändert die Perspektive und die Motivation, sich zu integrieren", sagt Reyes.

Mittlerweile hat sie viele Freunde in Ebersberg und Umgebung. Mittlerweile weiß sie bestimmte typisch deutsche Eigenschaften zu schätzen. Pünktlich sein etwa, das habe sie erst hier gelernt. Oder alleine zum Arzt zu gehen. "Das machst du in Kuba nicht", sagt sie. An einen Streit mit ihrem Ex-Mann erinnert sie sich, als dieser sie nicht in eine Praxis begleiten wollte, weil er arbeiten musste. Dass er sie nicht liebe, habe sie ihm damals vorgeworfen. Heute kann sie darüber lachen, heute geht sie ganz selbstverständlich ohne Begleitung zum Zahnarzt. Mittlerweile möchte Reyes sogar den Einbürgerungstest ablegen. Aber nur, weil sie ihren kubanischen Pass nicht würde abgeben müssen, denn im Herzen ist sie nach wie vor Kubanerin. "Das ist meine Heimat, und darauf bin ich stolz", sagt sie.

Einmal im Jahr besucht Reyes ihre Familie. Das ist wichtig, schön, aber auch merkwürdig. "Weil man dort auch nicht mehr wirklich zuhause ist", sagt sie. Umso schöner, dass sie nun seit einem Jahr auch in Deutschland wieder auf der Bühne steht. Über einen Kontakt aus dem Taglachinger Wirtshaus hat sie vom Ebersberger Integrationstheater erfahren. "Das ist super, was die da machen", sagt sie, "die Jungs sind super". "Mama" wird Reyes von ihnen mittlerweile genannt. "Weil ich manchmal schimpfe, auf Spanisch, obwohl sie das nicht verstehen. Aber auch viel küsse und umarme." Und wieder lacht sie, trotz Zahnschmerz. Vielleicht hilft das Lachen ja auch dagegen.

Das Ebersberger Integrationstheater spielt am Dienstag, 24. Juli, um 20 Uhr im Alten Speicher, Karten kosten zwischen fünf und 13 Euro.

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