Porträt:Kreative Schlachten im Atelier

Lesezeit: 3 min

Der Wasserburger Stefan Scherer will nicht nur mit seiner Malerei die Menschen berühren, sondern auch mit seinen Gedanken. So hantiert er leidenschaftlich mit Farbe und Pinsel, aber in seinem provokativen Blog "Superkunst" ebenso gern mit Wörtern und Sätzen

Von Johanna Feckl, Wasserburg

Ich warte darauf, dass jemand meine Rezensionen auseinandernimmt. Aber es kommt keiner!" Stefan Scherer, Jahrgang 1955, spricht von den Thesen, die er auf seinem Blog "Superkunst" veröffentlicht. Seit einigen Monaten ergänzt er Besprechungen aus der Presse über Kunstvereine, Ausstellungen und Künstler mit Texten, die auf seiner eigenen ästhetischen Erfahrung beruhen. Denn für Scherer verlieren sich Journalisten viel zu oft in sozialen, politischen Diskursen: Die Auseinandersetzung mit der Kunst als Kunst bleibe zu oberflächlich. Damit provoziert er. Bislang hat ihm noch keiner Paroli geboten, aber zu großem Wirbel ist es trotzdem gekommen: Als Reaktion auf seine Kritik über eine aktuelle Ausstellung des Wasserburger Kunstvereins AK 68 entzog ihm dieser die Kuration für die jährliche Große Kunstausstellung. Der zweite Vorsitzende Wolfgang Janeczka trat im Anschluss zurück.

Scherer ist bildender Künstler, Dozent, er leitet Seminare und VHS-Kurse. Er kuratierte in den vergangenen acht Jahren viele Ausstellungen des AK 68, hat seine eigenen Werke ausgestellt, oft gemeinsam mit dem Ebersberger Kunstverei, wo er sich zuletzt an der Jahresausstellung 2017 beteiligte. Seit neuestem ist er auch Blogger. "Es war mein Wunsch, einen Diskurs auszulösen", sagt Scherer. Denn genau das sollten seiner Meinung nach Künstler tun. "Eine Argumentationskultur ist ein wertvolles Gut." Deshalb möchte er in seinem Blog so viele Standpunkte wie möglich von verschiedenen Autoren und Kommentatoren sammeln. Es geht um Interaktion. Und nicht alle Reaktionen auf seine Texte fallen so negativ aus wie die des AK 68. Mit Verweis auf seinen Blog hat er Anfragen für Eröffnungsreden und Katalogbeiträge bekommen, auch für eine Künstlerbiografie.

Für Stefan Scherer ist das Atelier ein Ort der beständigen Auseinandersetzung mit der Kunst und mit dem Nachdenken darüber. (Foto: Johanna Feckl)

Sein ästhetisches Empfinden hat Scherer in seinen vielen Jahren als Maler sensibilisiert. "Ich bin kein Konzeptkünstler", sagt er. "Bei mir ist der Prozess das Entscheidende." Der sieht bei jedem seiner Bilder anders aus. Konstant ist nur die Abenteuerlust, mit der Scherer sein Atelier betritt. Das erkennt man schon bei einem Blick in seine Werkstatt. Sie ist geräumig, in der einen Ecke stapeln sich Leinwände, Rahmen, Holzlatten und aller möglicher Krams. Links davor sprießen auf einer Anrichte wackelig aussehende Türme aus Kaffeetassen empor. Eine kleine Sitzgelegenheit gibt es auch. Zwei großflächige Bilder mit den geschwungen Spuren von dicken, in schwarze Farbe getunkten Pinseln hängen an der Wand. Vor der langen Fensterfront liegen quadratische, farbige Leinwände. Die massiven Holzdielen sind mit einem Sammelsurium aus Farbklecksen besprenkelt. Aus großen Boxen schallt Jazz.

Jazz ist ein tragendes Element im Leben des Künstlers. Einige Jahre spielte er als Pianist in verschiedenen Jazzformationen, bevor er sich endgültig für die bildende Kunst entschied. Und die Eigenheiten des Jazz entsprechen denen seiner Malerei. Beim Jazz weicht der Rhythmus von der Hörgewohnheit ab: der Ton zwischen zwei Schlägen in einem Takt ist betont und nicht die Schläge selbst. Offbeat nennt sich so etwas. Die Musik vereint viele Instrumente zu einem komplexen Zusammenspiel, wobei Improvisation das wichtigste Element ist. Das wirkt oft schrill, chaotisch und ist übervoll an Eindrücken. Also weg von einem strikten Konzept; der Prozess in all seiner Vielschichtigkeit ist das, was zählt - ganz wie bei Scherer.

Das Atelier ist für ihn aber auch ein Ort, an dem er immer wieder neue Abenteuer sucht. (Foto: Johanna Feckl)

Meistens malt er großformatig. Das liegt an der Wirkung, die seine Kunst haben soll. "Wenn jemand meine Bilder betrachtet, soll das nicht nur ein visuelles Ereignis sein, sondern ein körperliches." Die Seherfahrung soll auf alle Sinne übergehen und einen tieferen emotionalen Zugang zu den Bildern ermöglichen. Die Kunst soll einen Prozess darstellen, aber auch einen solchen in der Gefühlswelt des Betrachters auslösen.

Während Scherer all dies erklärt, zeigt er auf die zwei großformatigen Bilder, die nebeneinander in seinem Atelier hängen. Das linke Gemälde hat einen weißen Untergrund. Dicke, spiralförmige Pinsellinien ziehen sich locker über die gesamte Bildfläche. Im Bild daneben sind die Pinselführungen dichter, sodass die Spiralform kaum mehr zu erkennen ist und der rosafarbene Hintergrund nur noch an den Rändern hervorsticht. Die Gemälde wirken wie Yin und Yang, wie zwei einander entgegen gesetzte Pole: Links ist es heller, man erkennt die Bewegung; rechts dominiert die Dunkelheit, es wirkt ruhig. Fast immer setzt Scherer bewusst solch schwer zu steuernde Maltechniken ein. Mit dieser Zufallsmethode könne er besser sein Innerstes ausdrücken, erklärt er. Die figürliche Malerei sei aber nicht weniger wichtig für ihn. Dadurch schaffe er ein Gegengewicht. Er wolle keinen wiedererkennbaren Malstil haben, "im Sinne von 'Aha, das ist also ein Scherer'". Das sei für ihn der Punkt, an dem ein Kunstwerk zum Produkt werde.

Der gebürtige Münsteraner verbrachte seine Jugend im schweizerischen Zürich, wo er die Städtische Kunstgewerbeschule, heute Hochschule der Künste, besuchte. "Das hat mich gar nicht so begeistert", gibt er zu. Auch ohne Studienabschluss betreibt er seine künstlerische Arbeit seit vielen Jahren mit Erfolg. Nach Stationen in Locarno, München, Hamburg und auf Sylt lebt Scherer seit 2000 in Wasserburg. "Alles, was ich zum Leben und für die Kunst brauche, ist hier", sagt er. "Außen brauche ich Ordnung und Frieden, damit ich im Chaos meines Ateliers meine Schlachten schlagen kann."

© SZ vom 17.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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