Porträt einer Jungjägerin:Auf der Jagd

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Wenn Franziska Rabe auf den Hochstand klettert, taucht sie tief in die Natur ein. Dort vergisst sie die Welt um sich herum - und auch die Vorurteile, mit denen sie manchmal zu kämpfen hat

Von Manuel Kronenberg

Franziska Rabe klettert die Sprossen der Holzleiter hinauf. Der eisige Wind rauscht durch die Bäume und rüttelt an den Holzwänden des Hochstands. Das stürmische Pfeifen ebbt ab, als Rabe die Tür verschließt. Sie nimmt ihr Gewehr von der Schulter, legt es zusammen mit ihrem Fernglas vor sich hin und zieht zwei Fleecedecken aus dem Rucksack. All das braucht die 27-Jährige zum "Ansitzen" - dem Jagen vom Hochstand aus. Der Blick aus dem Jägersitz im Revier südöstlich von Grafing fällt über eine weite grüne Wiese auf eine Reihe von Birken und Fichten. Wenn sich hier das Wild zeigt, dann wird es wohl aus den Baumgruppen von vorne oder von links auftauchen, vermutet Rabe. Sie nimmt ihr Gewehr herunter, kramt ein Munitionsetui hervor und setzt drei Patronen ein. Nun kann die Jagd beginnen - und normalerweise macht Rabe es sich dann erst einmal bequem, lehnt sich zurück und schließt die Augen. "Viele lachen, wenn ich das sage", erzählt sie. "Aber ich mache meistens ein Nickerchen."

Rabe ist Jungjägerin. Das heißt, dass ihre Ausbildung nicht länger als drei Jahre zurückliegt und sie noch kein eigenes Revier pachten kann. Ihren Schein hat sie vor knapp zwei Jahren erhalten. Seitdem hilft sie im Revier anderer Jagdherren aus und geht dort mit Erlaubnis auf Jagd. Am Anfang, als sie gerade ihren Schein hatte, wollte sie unbedingt raus ins Revier und ihre erste Beute machen. Doch sie habe viel zu viel Unruhe verbreitet, erzählt Rabe. Sie sei die ganze Zeit herum geeilt und habe dabei gar kein Wild zu Gesicht bekommen. Eines Tages ist sie dann eingeschlafen, und als sie aufwachte, stand plötzlich ein junges Reh vor ihr. Da habe sie die Waffe beiseite gelegt und nur zugesehen, sagt Rabe. Seitdem weiß sie, dass es beim Ansitzen vor allem darum geht, herunterzukommen und sich ruhig zu verhalten. Das ist auch, was sie so sehr daran schätzt. "Andere gehen zum Yoga", sagt Rabe. Sie habe eben die Jagd. Wenn sie im Hochstand sitzt, scheint die Welt für sie wie angehalten. Dann kann sie loslassen und in Ruhe die Natur beobachten.

Draußen im Wald und auf Wiesen fühlt sich Franziska Rabe wie zu Hause. (Foto: Christian Endt)

Wenn Rabe von der Jagd erzählt, geht es oft gar nicht um das Schießen. Für sie ist das nämlich nicht immer das Spannende daran. Sie genießt es, die Umgebung zu beobachten. Zu sehen, was um sie herum passiert. Es gehe auch um viel mehr als nur darum, Beute zu machen, betont sie. Wichtig sei auch, den Bestand zu regulieren, damit die Ökosysteme im Gleichgewicht bleiben. Oder Seuchen einzudämmen. Die Jagd könne einem schon auch mal nahe gehen, sagt Rabe. "Es gab einmal einen Fall, da habe ich ein Tier erlegen müssen", erzählt die Jungjägerin. Sie sei gezwungen gewesen, weil das Tier krank und schwach gewesen sei. "Ich hab danach einfach weinen müssen. Das war einfach nicht schön."

Rabe ist schon immer viel draußen in der Natur gewesen. "Wenn ich nach Hause gekommen bin, hat mich meine Mutter einmal durch die Regentonne ziehen müssen", erinnert sie sich. Nach dem Abitur hat sie sich zur Landwirtin ausbilden lassen, danach drei Jahre auf verschiedenen Betrieben gearbeitet. Durch die Beschäftigung mit Natur und Ökosystemen wurde auch ihr Interesse an der Jagd geweckt. Mittlerweile arbeitet sie Teilzeit in einem Milchviehbetrieb weiter und studiert Forst- und Ressourcenmanagement. Ganz nebenbei geht sie regelmäßig ins Revier, engagiert sich in der Kreisgruppe des Landesjagdverbands und bildet auch noch ihre Jagdhündin Afra aus - gar nicht so einfach, denn die bayerische Gebirgsschweißhündin ist gerade in der Pubertät und manchmal etwas eigensinnig.

Ihr geht es nicht um das Schießen, sondern um die enge Verbindung mit der Natur. Das wecke erst den Sinn für Nachhaltigkeit, so Rabe. (Foto: Christian Endt)

Dass man als junge Frau dem ein oder anderen Vorurteil ausgesetzt ist, passiere schon mal, so Rabe. Etwa wenn ältere Jäger skeptisch auf Frauen reagieren. Die Jagd ist eben immer noch eine Männerdomäne. Die meisten Jäger im Kreis Ebersberg seien in der Kreisgruppe des Landesjagdverbands organisiert, erklärt Reiner Knipfer, Schriftführer des Vereins. Demnach gibt es gut 700 Jagdberechtigte. Davon seien ungefähr zehn bis 15 Prozent weiblich, schätzt Knipfer. Glaubt man den Zahlen, nimmt das Interesse an der Jagd zu, denn der Verein verzeichnet seit Jahren eine steigende Anzahl von Mitgliedern. Zudem sind die Ausbildungskurse stets ausgebucht. Teilweise gebe es sogar eine Warteliste für die Ausbildung im Folgejahr, sagt Konrad Metzger, Vorsitzender der Kreisgruppe. Doch auch die Akzeptanz für Frauen wächst, vermutet Knipfer. Denn bei den Jungjägern ist der Anteil der Frauen viel höher als 15 Prozent. Laut Knipfer schwankt er in den Ausbildungskursen um einen Wert von 30 Prozent. Im Jahr 2017, als auch Rabe die Jägerausbildung absolvierte, lag der Frauenanteil sogar bei fast der Hälfte. "Wir sind im 21. Jahrhundert", sagt Rabe zu dem Thema. "Wenn wir Frauen in anderen Berufen mehr Verantwortung bekommen, warum nicht auch hier?"

Noch immer harrt die Jungjägerin im Hochsitz im Revier bei Grafing aus. Sie hüllt sich in ihre Fleecedecke, um sich vor der Kälte zu schützen. Die Windböen zerren an Gebüsch und Bäumen. Bei dem Lärm ziehen sich die Wildtiere oft lieber zurück. Doch plötzlich bewegt sich etwas. Rabe blickt auf. Ein Reh hat sich auf die freie Flur hinausgewagt. Rabe muss lächeln, als sie das Tier beobachtet, wie es in Ruhe das Gras vom Boden knabbert. "Das ist eigentlich absolute Lebensgefahr für das Tier gerade", sagt Rabe. Doch sie lässt ihre Waffe liegen, nimmt sich das Fernglas und blickt hindurch. "Es ist auf jeden Fall männlich. Das erkenne ich am Pinsel", also am Geschlechtsteil, erklärt sie. Die Jägerin vermutet, dass es sich um ein Kitz handelt. Es könne aber auch ein älterer Bock sein, der sein Gehörn abgeworfen hat, sagt Rabe. Sie ist sich nicht sicher, deshalb rührt die Jägerin ihre Waffe erst gar nicht an. Sie lasse lieber mal den Finger gerade, als zu schießen, erklärt sie. Dann passiere es auch nicht, dass sie versehentlich ein Tier erlegt, dass gerade in der Schonzeit ist. Generell gehe bei der Jagd die Sicherheit immer vor.

Zusammen mit Jagdhündin Afra hilft die 27-Jährige in den Revieren anderer Jagdherren aus. (Foto: Christian Endt)

Nach wenigen Augenblicken ist der Bock auch schon wieder verschwunden. Rabe entlädt ihre Waffe und steigt die Sprossen wieder herab. Sie wird auf jeden Fall wieder kommen. "Die Jagd verbindet einen mit der Natur", sagt sie. Das habe auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Denn nur wer einen Bezug zur Natur habe, findet Rabe, weiß auch, was man für seine Kinder erhalten will.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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