Politik und Bildung:"Bildung ist für mich ein Luxusgut!"

Nach den Krawallen am Reichstag

Der Ort, an dem Politik für Deutschland gemacht wird: das Gebäude des Reichstags in Berlin.

(Foto: dpa)

Als Mitglied im Bürgerrat Bildung und Lernen hat Angelika Best aus Baiern Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet.

Interview von Johanna Feckl, Baiern

Wie wollen wir lernen? Diese Leitfrage steht über dem Projekt des Bürgerrats Bildung und Lernen. Ein Bürgerrat, das ist ein gelostes Gremium aus Bundesbürgerinnen und -bürgern, das in einem mehrstufigen Verfahren Entscheidungsträger wie die Politik zu konkreten Themen berät - in diesem Fall ist es Bildungspolitik. Angelika Best aus Baiern war bei allen Runden dabei. Im Gespräch mit der SZ erzählt die 60-jährige Rentnerin und ehemalige Sozialpädagogin im Coaching-Bereich von ihrer Arbeit im Bürgerrat und warum sie mit 30 Jahren Abitur machte.

SZ: Frau Best, wie darf man sich das vorstellen: Alle Mitglieder des Bürgerrats wurden ausgelost?

Angelika Best: Ja - ich bin rein zufällig hineingerutscht und in allen weiteren Runden ausgelost worden. Damals hat mich ein Vertreter der Montag Stiftung angerufen und gefragt, ob ich Interesse hätte, an einem Videomeeting teilzunehmen, an dem erste Ideen zusammengetragen werden.

Und Sie haben ohne Bedenken zugesagt?

Zunächst habe ich im Internet über das Projekt gelesen, die Montag Stiftung kannte ich bereits. Dann habe ich aber direkt zugesagt. Mir ist das Thema Bildung und Lernen ein großes Anliegen, es hat mich sowohl beruflich als auch privat ein Leben lang begleitet. Meine Eltern haben mir beispielsweise noch verboten, Abitur zu machen. Das habe ich nachgeholt, als ich 30 Jahre alt war. Bildung ist für mich persönlich ein wahres Wellness- und Luxusgut!

... etwas, das sich nicht alle leisten können.

Genau. Im Bereich Coaching ist mir das immer wieder untergekommen: Leute, die bereits im Beruf sind, möchten sich weiterbilden - stellen dann jedoch fest, dass das gar nicht so leicht ist. Die Frage der Finanzierbarkeit rückt schnell in den Mittelpunkt.

Angelika Best

Ihre Erfahrungen im Coaching-Bereich hat Angelika Best in die Arbeit im Bürgerrat eingebracht.

(Foto: Privat)

Sie sprechen damit den Aspekt der Chancengleichheit an.

Dieser Bereich hat viele Facetten. Zum Beispiel ist die Art der Schulbildung zu großen Teilen abhängig vom Status der Eltern. Mein Sohn ist Lehrer und seine Erzählungen, welche Unterschiede zwischen den Schülern möglich sind, das ist beinahe irrsinnig! Und bei uns auf dem Land kommt noch hinzu: Nicht jeder hat funktionierendes Internet. Ohne ein solches wird man heutzutage jedoch schnell abgehängt.

Im September waren Sie zwei Tage in Berlin und haben dort gemeinsam mit 100 Teilnehmenden fünfzig Empfehlungen entwickelt. Erkennen Sie sich und ihre persönlichen Schilderungen darin wieder?

Ja, auf jeden Fall! Wir haben acht Themen ausgearbeitet und durften dann in verschiedenen Gruppen mitmachen. Ich war im Team "Demokratie und Teilhabe in der Schule" sowie "Lebensnahes Lernen".

Was meint "lebensnahes Lernen" genau?

Die Entwicklung von Lebenskompetenzen, also Themen wie Gesundheit, Bewegung, Kommunikation sowie Handwerk und Hauswirtschaft. Es geht um die Erneuerung der Bildungsinhalte in Bezug auf den späteren Werdegang und den Alltag.

Ist das nicht etwas, was Schülerinnen und Schüler im Elternhaus lernen?

Wir befinden uns in einem Wandel. Schule soll ganzheitlich und ganztäglich werden. Damit wird es neben den Eltern auch Aufgabe der Schule, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wie sie ihren Alltag bewältigen. Das Fundament einer jeden Gesellschaft sind psychisch und physisch gesunde Menschen. Warum sollten dann Aspekte zum Thema Gesundheit nicht in der Schule vermittelt werden? Oder das Thema Kommunikation: Die Fähigkeit, einen Dialog zu führen, ist Grundvoraussetzung für jede Demokratie. Dazu gehört kritisches und mündiges Denken, aber auch die Fähigkeit, den anderen mit seiner Meinung stehen lassen zu können.

Und wie hat die Demokratie innerhalb des Bürgerrats funktioniert?

Es ist erstaunlich, welch eine Neutralität hier von allen Beteiligten angestrebt wurde! Das hat mich wirklich am meisten an dem Projekt begeistert: Die Bürgerinnen und Bürger, die dabei waren, wollten nicht ihre persönlichen Interessen vertreten. Es ging um einen Konsens von allen daran beteiligten Bürgern.

Neben dem Bürgerrat gab es auch Kinder- und Jugendwerkstätten, deren Ergebnisse in die Ausarbeitung der 50 Empfehlungen eingeflossen sind. Welche Aspekte sind der jungen Generation wichtig?

Die Anliegen waren vielseitig, ein kleines Beispiel war, dass die Schule doch bitte später beginnen soll. Das haben wir auch bei unseren Vorschlägen berücksichtigt.

Mitte November übergeben gewählte Botschafterinnen und Botschafter die ausgearbeiteten Vorschläge an Vertretungen aus der Politik - Sie gehören zu dieser Gruppe. Haben Sie keine Sorge, dass Ihre Arbeit alsbald in einer Schublade verschwinden wird?

Nein - denn genau dafür gibt es ja uns Botschafter. Das Land Thüringen zum Beispiel hat den Bürgerrat bereits zu einem Gespräch eingeladen, um sich über das Format und die Inhalte auszutauschen. In Bayern ist das zwar leider noch nicht passiert, aber ich habe vor, in nächster Zeit einige Politiker anzuschreiben, um mich vorzustellen und zu fragen, wo und inwiefern wir etwas beisteuern können. Wichtig ist, dass den Dialog immer wieder lebendig zu halten, damit die Brisanz der Anliegen langfristig präsent und aktuell bleibt.

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