Poinger Erdbeben:Forscher wollen Untergrund erkunden

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Noch ist nicht geklärt, was die Ursache der Erdstöße war, ein Zusammenhang mit der Geothermie ist aber wahrscheinlich

Von Barbara Mooser, Poing

Noch immer ist den Menschen die Aufregung darüber anzumerken, was sie da an diesem 9. September erlebt haben. Ein gewaltiger Knall, spürbares Rütteln, "ich dachte, das Nachbarhaus ist explodiert", sagt eine Poingerin. Dass die Geothermie dieses Beben und die vier im Jahr 2016 - zwei davon spürbar - ausgelöst hat, ist zwar nicht bewiesen, aber wahrscheinlich. Und weitere sind laut Inga Moeck vom Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik nicht ausgeschlossen.

Sie und ihre Kollegen würden der Ursache gern auf den Grund gehen und ein Poinger Forschungsprojekt in Angriff nehmen: Mit Hilfe von 3-D-Seismik könnte die Beschaffenheit des Bodens exakt untersucht werden. Aber auch die Poinger könnten mitwirken, ihr schwebe echte "Citizen Science" vor, sagte Moeck am Freitag in Poing.

Mehr als 350 Besucher kommen zur Infoveranstaltung des Geothermie-Betreibers

Die Erdbebenexpertin war eine begehrte Ansprechpartnerin bei einer Informationsveranstaltung der Gemeinde und der Bayernwerk Natur GmbH, die die Geothermieanlage in Poing betreibt. Mehr als 350 Besucher studierten die Infotafeln in der Dreifachturnhalle und tauschten sich mit den Fachleuten aus. Etwa 100 nutzten auch die Gelegenheit, die Förderbohrung am westlichen Ortsrand sowie das Heizwerk an der Gruber Straße zu besichtigen.

Andreas Reichart vom Stromversorger Bayernwerk führt durch das Poinger Heizwerk. Etwa 100 Poinger nutzten eine Infoveranstaltung der Gemeinde, die Förderbohrung zu besichtigen. (Foto: Christian Endt)

Die Beunruhigung in der Gemeinde war unmittelbar nach dem Beben groß gewesen, vor allem, weil erstmals auch Schäden gemeldet wurden. Eine Anwohnerin aus dem Augustusring etwa berichtete, dass sich seit dem Beben ein Wulst in der Schlafzimmerwand abzeichnet, wie ein sehr langer Regenwurm, der unter dem Putz entlang kriecht.

48 Poinger haben Schäden an ihren Häusern gemeldet

Noch mehr als das beunruhigt sie und ihren Mann aber der Gedanke, dass das Fundament des zwölf Jahre alten Hauses Schaden genommen haben könnte. 48 Poinger haben Risse in den Wänden und andere Schäden gemeldet, die Bayernwerk Natur GmbH lässt diese Schäden nun von Gutachtern überprüfen.

Es hat sich laut Moeck, die im Auftrag der Bayernwerk Natur GmbH ein Gutachten zu den Beben verfasst hat, eigentlich um ein vergleichsweise schwaches Beben gehandelt, das ein modernes Haus und selbst ein denkmalgeschütztes, weniger stabiles, eigentlich locker aushalten müsste, ohne Schaden zu nehmen.

Jedoch hängen die Auswirkungen auch immer vom Untergrund ab, auf dem das Haus gebaut ist. Gründet es beispielsweise auf Seesedimenten oder Lößlehm, könne eine solch schwache Erschütterung laut Moeck durchaus Schaden verursachen.

Der Schrecken ist den Poingern immer noch anzumerken. Am 9. September hatten sie ein spürbares Rütteln in vielen Häusern gespürt. (Foto: Christian Endt)

Was die konkrete Ursache der Beben betrifft, kann Moeck derzeit nur Vermutungen anstellen: So könnte es sein, dass die Beben damit zu tun haben, dass das geförderte Wasser kalkhaltiger ist als jenes, das wieder zurück in den Boden geführt wird. Das calcitärmere Wasser könnte Risse im Untergrund, die sich durch Kalkablagerungen geschlossen haben, ausspülen und somit die Gesteinsplatten wieder beweglicher machen.

Dass in der Nähe von Geothermieanlagen kleine Erdbeben auftreten, ist durchaus nicht ungewöhnlich, auch in Unterhaching beispielsweise wurde dieses Phänomen registriert. Im ersten Jahr nach der Inbetriebnahme hat es dort viele kleine und einige spürbare Beben gegeben, inzwischen ist aber Ruhe. Ungewöhnlich in Poing ist nach Aussage der Expertin, dass die Erde erst bebte, als die Anlage schon einige Jahre in Betrieb war.

Nicht zuletzt deshalb möchte sie sich darum bemühen, am Beispiel Poing noch mehr herauszufinden über die Zusammenhänge zwischen Geothermieanlagen und Erdbeben. Ein Schritt dazu wäre, eine 3-D-Seismik erstellen zu lassen, ähnlich wie es die Stadtwerke im vergangenen Jahr in München gemacht haben. Dabei wird über das zu untersuchende Areal ein Gitternetz gelegt, an den Schnittstellen lösen spezielle Maschinen leichte Schwingungen im Untergrund aus und messen, wie der Boden darauf reagiert. Auf diese Weise lässt sich genau ableiten, wie die Bodenschichten beschaffen sind. Moeck vergleicht das mit Ultraschall, mit Hilfe dessen man Besonderheiten im menschlichen Körper sichtbar machen kann.

Gleichzeitig könnten die Poinger mithelfen, die Phänomene besser zu erfassen, indem sie beispielsweise Wahrnehmungen auf einer speziell konzipierten Internetseite eingeben. Denkbar wäre laut Moeck eine Förderung des Projekts durch das Bundeswirtschaftsministerium, vor allem, wenn auch die Gemeinde den Wunsch nach dieser Untersuchung äußere. Mit Bürgermeister Albert Hingerl hat sie am Freitagabend diesen Vorschlag bereits besprochen und ist auf Anklang gestoßen. "Ich unterstütze natürlich die Idee und hoffe, dass das Forschungsprojekt zustande kommt", sagt er dazu.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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