Kunst in Poing:Die ganze Welt in einem Auge

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Der Anzinger Maler Siegfried Horst beweist mit einer Ausstellung in Poing erneut, dass er mit wenig unerhört viel auszudrücken vermag. Im August feiert er 80. Geburtstag.

Von Anja Blum

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einblicke in das Schaffen eines Meisters der Reduktion: Siegfried Horst...

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

...zeigt bei einer Jubiläumsschau im Poinger VHS-Haus Bilder aus den vergangenen zehn Jahren.

Es ist, als könnten sie sprechen. Die Menschen und Tiere, die Siegfried Horst auf Papier oder Leinwand wirft. So groß ist ihre Präsenz, so sehr treten sie in Kontakt mit dem Betrachter, so sehr rühren sie einen an - selbst ohne die Geschichten zu kennen, die stets in Horsts Werken stecken. "Heike" zum Beispiel, ein Traum in Blau. Eine junge Frau, Wolken um den Kopf, Berge im Hintergrund. Doch man spürt, dass diese Idylle Risse hat, dass dahinter ein ungeahnter Schrecken liegt. Heike habe das Massaker auf der Insel Utøya überlebt, indem sie ins Meer gesprungen sei, erklärt Horst. Ihr Foto habe ihn zu dem Bild inspiriert. "Das alles liegt offen - wenn man lesen mag."

Er beginne zu 90 Prozent mit den Augen, sagt der Künstler, und eben jene sind es meist auch, die das Gegenüber tief blicken lassen in die Seele der Porträtierten. Oft erscheinen sie ernst, fast traurig in die Welt zu sehen, manchmal aber auch träumerisch. Trotzdem schwingt immer eine humorvolle Komponente mit, eine Leichtigkeit, die man wohl Horsts Markenzeichen nennen könnte. Kurzum: Es ist eine vielsagende Ausstellung, mit der der Maler aus Anzing und die VHS nun diverse Jubiläen feiern. Das Bildungshaus in Poing gibt es seit 20, die VHS Vaterstetten seit 50 Jahren - und Siegfried Horst feiert im August seinen 80. Geburtstag. Ein Abschied ist die Schau für den Künstler indes nicht: "Wenn es gesundheitlich irgendwie geht, muss ich weiter malen."

1941 kamen seine deutschstämmigen Eltern aus Rumänien nach Österreich, wo Siegfried Horst geboren wurde. Noch während des Krieges ging es für die Familie weiter nach Deutschland. Bereits als Kind malte und zeichnete Horst viel, sein Talent war wohl offensichtlich. Doch die Zeichen der Zeit standen anders, und so lernte er in Tübingen erst die Schriftsetzerei. Keine schlechte Wahl, denn damit ließ sich dann doch noch ein Kunststudium finanzieren: Spät- und Nachtschichten in der Druckerei wurden im Wirtschaftswunderland gut bezahlt. Also studierte Horst bei Professor Arnold Bode an der Hochschule in Kassel, der als Begründer der Documenta gilt. Als Student half Horst, diese aufzubauen - und kam so in Berührung mit der internationalen Kunstszene, vor allem aus Amerika, Robert Rauschenberg, Jackson Pollock, Sam Francis, Andy Warhol. Das Abstrakte hielt damit auch in Deutschland Einzug. Für den jungen Horst muss das eine ausgesprochen spannende Zeit gewesen sein.

Doch irgendwann löste sich der Maler vom Tachismus von Bode und Co. - er konnte "nicht mehr mitgehen" und wandte sich wieder seiner ursprünglichen Leidenschaft zu, dem Gegenständlichen. "Damit kann ich mich einfach besser ausdrücken als mit dieser Fleckenmalerei", sagt Horst heute. Überhaupt sieht der fast 80-Jährige nun den Zeitpunkt gekommen, auch mal zurückzublicken, anstatt immer nur nach vorne. Horsts Archiv "quillt über", wie er sagt, da gibt es also einiges, was seinem kritischen Blick standhalten muss. Der Zweifel, er gehört dazu. "Aber es ist auch wichtig, authentisch zu bleiben, anstatt immer nur darauf zu schauen, was gut ankommt." Siegfried Horst ist das gelungen: Er hat seinen ganz eigenen Ausdruck gefunden, er ist eindeutig wiedererkennbar, auf jedem Blatt.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die ausgestellten Skizzen reichen bis in die 60-er zurück.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf diesem Werk von 2013 sieht man "Harald sich erfrischend".

Und manchmal lässt das Alter den Künstler gegenüber sich selbst offensichtlich auch milder werden. "Meine Tauben fand ich früher nicht gut genug, doch das sehe ich jetzt anders", sagt Horst. Und so kommt die Poinger Ausstellung mit ihren Vogelbildern in den Genuss einer Premiere. Wie seinen Menschen räumt der Maler diesen Tieren viel Platz ein, verleiht ihnen mit expressionistischer Farbgebung emotionale Tiefe, Persönlichkeit, Charakter gar. Darauf weisen auch die Bildtitel hin: "der eitle Karl-Heinz", "die schöne Lisa". Tiere seien ja gar nicht so weit entfernt von uns Menschen, sagt Horst und lächelt. "Diese Verwandtschaft will ich in der Gegenüberstellung zeigen." 15 Tauben-Variationen habe er in ein, zwei Wochen gemalt, denn im seriellen Arbeiten experimentiert der 79-Jährige sehr gerne mit unterschiedlichen Farbgebungen.

Ebenfalls neu sind einige Keramiken, die Horst im VHS-Haus zeigt. Sie sind geschmückt mit Blumen oder Porträts, manches wirkt, als hätte sich Picasso einer archaischen Kunstform gewidmet. Besonders hervor sticht ein runder Teller, den eine herbe, stolze Schöne ziert, mit roter Rose im dunklen, üppigen Haar, den Mund leicht geöffnet. Und auch bei der Keramik zeigt sich die zeichnerische Qualität des Malers: Wo der Platz reduziert ist, muss jeder Strich sitzen.

Dass Horst dies beherrscht wie kaum ein anderer, beweisen vor allem die Auszüge aus seinen Skizzenbüchern, die dank des Anzinger Künstlers Peter Böhm ansprechend auf langen Papierfahnen präsentiert sind. Porträts, Landschaften, surreale Szenen, Tiere. Wenige schnelle Striche genügen Horst, um unerhört viel zu sagen. Etwa bei einem Küken, das neugierig aus seinem Nest schaut. Ja, dieser Maler braucht keine ausgefeilten Kompositionen, kaum Details, er ist ein Meister der Reduktion und Klarheit. So als ob der Schriftsetzer dem Künstler hilft, mit einzelnen Zeichen ganze Bildergeschichten zu erzählen.

Oft lässt er sich dazu von anderen Werken inspirieren, von Fotografien, Gemälden oder Gedichten. Etwa "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin, denn die Dualität des Menschlichen, das Dies- und das Jenseits sind auch bei Horst ein immer wiederkehrendes Motiv. "Weh mir, wo nehm' ich, wenn es Winter ist, die Blumen, und wo den Sonnenschein"? In einem Atelier in Anzing gibt es bereits vieles davon. Und es wird hoffentlich noch um einiges mehr werden.

Sonderausstellung von Siegfried Horst im VHS-Haus Poing, Friedensstraße 5: Vernissage am Freitag, 2. Juli, in mehreren Zeitfenstern. Anmeldung erforderlich, entweder unter www.vhs-vaterstetten.de (Kursnummer 3901) oder telefonisch unter (08106) 35 90 35. Zu sehen bis 29. Juli, geöffnet montags, dienstags und donnerstags von 9 bis 12 Uhr sowie dienstags von 17 bis 19 Uhr.

© SZ vom 01.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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