Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 10:Die Tote in der Badewanne

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Im August 2002 wird eine Ingenieurin in ihrer Poinger Wohnung bestialisch ermordet. Es dauert mehr als ein Jahr, bis der Täter gefasst wird. Und das auch nur durch einen bizarren Zufall.

Von Alexandra Leuthner, Poing

Es lagen Gewitter in der Luft an diesem Abend. Für die nächsten Tage war Dauerregen vorhergesagt. Im Norden Deutschlands fürchteten die Menschen um ihr Hab und Gut, weil sich an der Elbe eine Hochwasserkatastrophe anbahnte. In der Gemeinde Poing, östlich von München, am nordwestlichen Rand des Landkreises Ebersberg gelegen, sorgten sich die Menschen ebenfalls. Hier hatte es schon eine Katastrophe gegeben. Den brutalen Mord an einer alleinstehenden Frau.

Die Ermittler gingen zunächst von einem Familiendrama aus. Und doch machte sich Angst breit in der Wohngegend ringsum. Manch einer erklärte, wegziehen zu wollen, es hatte Diebstähle von Damenwäsche gegeben und anonyme Anrufe bei Frauen, die alleine lebten - wie das Opfer.

Kurz nach 22 Uhr am Samstag war Gudrun Wudy nach Hause gekommen, hatte ihren dunkelblauen Audi in der Tiefgarage geparkt. Ihre Wohnung lag in einem anonymen Neubauviertel am Rand des Ortes. Es war wohl nicht viel los auf den Straßen an diesem 10. August, das Wetter verlockte nicht zu Spaziergängen. Ein Telefonanruf bei Gudrun Wudys Vater in Dachau - zweimal ließ die Tochter es läuten als Zeichen dafür, gut heim gekommen zu sein - war ihr letztes Lebenszeichen. Bis die Ermittler endgültig rekonstruieren konnten, was der 38-Jährigen in jener Nacht widerfuhr, sollte es mehr als ein Jahr dauern.

Gudrun Wudys Vater war es, der seine ermordete Tochter fand. Am Dienstagmorgen war er mit ihr verabredet, wollte die Hecken beschneiden im Garten ihrer Wohnung. Als er ankam, waren die Fensterläden verschlossen, ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er schloss die Tür auf und durchsuchte die Zimmer. Im Bad wurde seine Sorge Gewissheit. Der Leichnam seiner Tochter lag in der Badewanne, Stiche im Halsbereich, blaue Flecken auf dem Körper.

"Äußerst brutal" sei der Täter vorgegangen, teilte die Kriminalpolizei kurz darauf in trockener Ermittlersprache mit. "Sie hat sehr, sehr schlimm ausgeschaut", formuliert es Roland Frick, im Jahr 2002 Chef des Kriminal-Erkennungsdienstes. Nach der Schutzpolizei waren er und seine Mitarbeiter als Erste am Tatort. "Und ich weiß noch, wie ihr Vater dastand", erzählt Frick. "Schaffen Sie das, finden Sie ihn", habe er gesagt, nichts weiter. "Und natürlich sagt man dann: Klar, wir finden ihn."

Hatte Gudrun Wudy ihren Mörder gekannt?

Doch zunächst gingen die Ermittlungen ins Leere. Keine Einbruchsspuren an Türen oder Fenstern, kein Hinweis auf einen Raubmord. Hatte Gudrun Wudy ihren Mörder gekannt? In den Tagen nach dem Tod der Projektleiterin eines Mobilfunkunternehmens, die mit ihrer Katze allein lebte, durchkämmten 60 Beamte die Siedlung, den dahinter liegenden Park; jede Mülltonne wurde durchsucht, jeder Nachbar befragt, eine Sonderkommission eingerichtet.

Die Soko "Bergfeld" rief einen guten Monat später zu einem Massen-Gentest auf. 1500 Männer aus "dem Wohnumfeld des Opfers" wurden angeschrieben - DNA-Spuren des Täters hatten die Ermittler am Körper der ermordeten und vergewaltigten Frau gefunden. "Das war, soweit ich mich erinnere, der bis dahin größte Speicheltest in Oberbayern überhaupt", erzählt Frick. Aber er blieb ohne Ergebnis. Warum auch sollte sich ein Schuldiger freiwillig testen lassen?

"Wenn alle aus der Nachbarschaft gehen, ist es schwer zu erklären, warum einer es nicht tut", erklärt der ehemalige Ermittler. Doch Gudrun Wudys Mörder war kein Nachbar. Er gehörte auch nicht zu jenen 14 Männern, die sich weigerten, eine Speichelprobe abzugeben, bis sie per richterlicher Anordnung gezwungen wurden. Der Mörder war zwar in Poing aufgewachsen und kannte das Neubaugebiet am Bergfeld gut, wohnte zu diesem Zeitpunkt aber mit seiner schwangeren Freundin in Riem.

Vielleicht sah er ja den Fahndungsaufruf in der Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" im Februar 2003. Eine Zeugin immerhin meldete sich, wollte einen Mann beobachtet haben in der Mordnacht. Doch das nach ihren Angaben gefertigte Phantombild entsprach in nichts dem Täter. Die Aussage seiner Ex-Freundin schließlich war es, die Michael F. zu Fall brachte.

Sie sprach - aber erst vier Monate nach der Tat

Im Frühjahr hatte sich die junge Frau von dem 21-jährigen Gelegenheitsarbeiter getrennt - aus Angst um sich und ihr inzwischen geborenes Kind. Aus Angst ging sie dann auch zur Polizei und berichtete von den Szenen auf einer Videokassette, die sie versteckt in ihrem Wäscheschrank gefunden hatte, vier Monate nach der Tat. Das Video bekamen die Ermittler nie zu Gesicht, Michael F. hatte es verbrannt, doch die Beschreibungen der jungen Frau, die am Tatort gefundene DNA, ein Schuhabdruck und Kleidungsstücke der Getöteten, die sich in Michael F.s Wohnung und dem Speicher im Haus seiner Mutter fanden, nötigten ihn schließlich zum Geständnis.

In der Tiefgarage war Michael F., der als Spanner durch Poing streunte - auch die Wäschediebstähle gingen auf sein Konto -, auf Gudrun Wudy aufmerksam geworden und ihr zu ihrer Wohnung gefolgt. An der geöffneten Tür gab er ihr einen Stoß und versetzte ihr mit einem Elektroschocker einen Stromschlag. Als sie sich weiter wehrte, stach er ihr mit einem Kartoffelmesser mehrmals in den Hals, durchtrennte dabei das Rückenmark. Dann verging er sich an der Leiche - und filmte alles mit einer Kamera.

Auf dem Speicher seiner Mutter fanden die Ermittler eine Diskette mit der Startseite für eine Homepage, die den ganzen Abgrund in der Gefühlswelt des Mörders offenbarte. Michael F., in der Schule für seine geringe Körpergröße und seine große Nase gehänselt, verbrachte seine Jugend vor allem mit dem Fernseher und träumte von einer medientauglichen Karriere als Massenmörder. Im Herbst 2004 verurteilte ihn der Vorsitzende Richter der Jugendkammer zu zehn Jahren Haft und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Einem Antrag auf Haftentlassung 2012 wurde nicht stattgegeben, auch nicht einer Verlegung in den normalen Vollzug. Zu groß die Gefahr, dass der inzwischen 30-Jährige, dem zur Tatzeit eine "schwere seelische Abartigkeit mit voyeuristischen, nekrophilen, fetischistischen und sadistischen Zügen" bescheinigt worden war, erneut ein Verbrechen begehen würde. Im Januar 2013 starb er in Haft. Auch Gudrun Wudys Vater ist inzwischen tot. Roland Frick, der ihm damals begegnete, gab seinen Job als Kriminaler vor Jahren auf, um in Poings Nachbargemeinde Pliening Bürgermeister zu werden.

Mitgenommen aus seinem früheren Beruf hat er sehr klare Vorstellungen von Recht und Unrecht, Schlagzeilen wie vom "Mörder mit dem Milchgesicht" bringen ihn immer noch auf die Palme. Dass Michael F. mit seinen zur Tatzeit 20 Jahren unter Jugendstrafrecht fiel, sei ein Unding, urteilt Frick. "Die Volljährigkeit hätte auch im Strafrecht auf 18 heruntergesetzt werden müssen. Mit 18 kann ich in den Bundestag gewählt werden, also bin ich auch verantwortlich für meine Handlungen. So einer wie der ist doch kein Kind mehr."

Alle Folgen der Serie "Tatort Region" finden Sie auch online unter sz.de/tatort

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Quelle:
SZ vom 08.08.2019
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