Süddeutsche Zeitung

Demografischer Wandel:Fünf Etagen für Senioren

In Poing diskutiert der Gemeinderat über die ersten Entwürfe zu einem neuen Pflegezentrum. Vor allem am Aussehen scheiden sich die Geister.

Von Jörg Lehne, Poing

Die Pflegesituation in Poing ist angespannt. Doch jetzt kündigt sich Entlastung an, denn die Pläne zum Bau eines neuen Seniorenzentrums schreiten voran. Bereits Ende der vergangenen Legislaturperiode erklärt der damalige Bürgermeister Albert Hingerl, dass die demografischen Entwicklung der Gemeinde diesen Neubau erforderlich mache.

Inzwischen wurde Hingerl als Rathauschef von Thomas Stark (parteilos) abgelöst. Ein privater Investor habe der Gemeinde angeboten, die Finanzierung des Bauprojektes zu übernehmen, erklärte dieser nun im Gemeinderat. Von da an habe die Kommune in enger Abstimmung mit der Pflegestern Seniorenservice GmbH als Trägerin und dem Architekturbüro "X3 Architekten" unter der Geschäftsführung von Markus Steffelbauer an einem Konzept gearbeitet. Nun, nach anderthalb Jahren intensiver Planung, konnten dem Gemeinderat erste Pläne zu dem Seniorenwohnheim präsentiert werden, das zwischen Wildparkstraße, Schwabener Straße und Am Hanselbrunn entstehen soll.

Das Vorhaben sieht 108 Zimmer für vollstationäre Pflege sowie 25 Plätze zur Tagespflege vor. Hinzu kommen Büros für einen ambulanten Dienst, eine Beratungsstelle sowie Praxisflächen, die etwa für Ärzte oder Hörgeräteakustiker zur Verfügung stehen sollen. Ebenso eingeplant sind sieben Mitarbeiterwohnungen, Gemeinschaftsräume sowie ein öffentliches Café. Nicht zuletzt soll der neue Komplex 40 Wohnungen für betreutes Wohnen beinhalten.

Die neuen Pflegeplätze werden so schnell wie möglich gebraucht, darin waren sich am Abend der Gemeinderatssitzung alle einig. Laut einer Pflegebedarfsanalyse vom April 2021 durch ein Büro für räumliche Entwicklung ist bis zum Jahr 2033 damit zu rechnen, dass der Bedarf an vollstationären Pflegeplätzen auf 131 und im Bereich der Tagespflege auf 39 Plätze steigen wird. Im Vergleich: Das bestehende Seniorenzentrum in Poing, ebenfalls betrieben von der Pflegestern Seniorenservice GmbH, beherbergt derzeit lediglich 60 Seniorinnen und Senioren.

Unter die Freude über die jüngsten Fortschritte in diesem Vorhaben mischte sich jedoch auch Unmut. Bei einem Bauprojekt diesen Umfangs hätte der Gemeinderat wesentlich früher in die Planung miteinbezogen werden sollen, beschwerte sich Herbert Lanzl (CSU). Tatsächlich wurden die Entwürfe erst einen Tag vor der Sitzung in das Ratsinformationssystem eingestellt. "Das nehme ich auf mich", beschwichtigte Thomas Stark. Man habe bis zuletzt an den Planungen gearbeitet. Erst am Vortag der Sitzung sei der letzte Strich gezogen worden. Der Entwurf sei dennoch auf die Tagesordnung gekommen, um keine zweimonatige Verzögerung bis zur nächsten Gemeinderatssitzung zu riskieren. Man wolle den Pflegebedarf der Gemeinde so schnell wie möglich decken können, so der Bürgermeister.

Auch Marc Salih (FDP) erhofft sich durch das neue Pflegezentrum eine erhebliche Entlastung für den Pflegebetrieb, womöglich sogar für das gesamte Münchner Umland. Weniger optimistisch äußerte sich dagegen Peter Maier (SPD). Seiner Befürchtung nach könnte der Bedarf an Pflegeplätzen bis zur Fertigstellung erneut gestiegen sein. "Wir können froh sein, wenn wir vielleicht Poing und einige Nebengebiete abdecken können." Nichtsdestotrotz begrüßte er das Vorhaben. Besonders hervorzuheben sei, dass das neue Seniorenzentrum mit seinen Gemeinschaftsflächen und dem öffentlichen Café neue Begegnungsmöglichkeiten biete. Es sei wichtig, dass Menschen im Alter die Gesellschaft anderer suchten, statt zuhause zu bleiben, so Maier. Auch Franz Langlechner (CSU) lobte den Ansatz, das Pflegeangebot so gut wie möglich auf einem Raum zu konzentrieren: Pflege werde teurer und teurer. Durch sein vielseitiges Angebot vor Ort könne das neue Zentrum dazu beitragen, Kosten zu sparen.

Aber das vielseitige Angebot hat auch Lücken: Wie in den anderen Einrichtungen des Pflegesterns werde im neuen Seniorenzentrum eine so genannte "beschützende Abteilung" für Demenzkranke fehlen, erklärte Peter Haile, Geschäftsführer der Seniorenservice GmbH, auf Anfrage der SZ. "Selbstverständlich nehmen wir Demenzkranke auf", stellte er klar. Etwa 70 Prozent der Menschen auf stationären Pflegeplätzen würden an leichter oder schwerer Demenz leiden, diese würden natürlich auch im neuen Seniorenzentrum angenommen werden. Beschützende - früher noch "geschlossene" genannte - Bereiche seien lediglich für Patientinnen und Patienten mit "schwerer Weglauftendenz" vorgesehen, so Haile. Da diese eine Gefahr für sich und andere darstellen könnten, müssten sie in einem abgegrenzten Bereich betreut werden. Dafür brauche es einen richterlichen Beschluss. Konzeptionell ließe sich eine beschützende Abteilung jedoch nicht mit dem neuen Seniorenzentrum vereinbaren.

Gleichwohl bleibt es ein Bauprojekt von stattlichem Umfang. Betrachtet man den Entwurf, ist es die schiere Dimension des Vorhabens, die einem zuerst ins Auge springt. Der quadratisch angelegte Bau mit einem Innenhof soll fünf Obergeschosse hoch werden und eine Nutzfläche von insgesamt knapp 15 000 Quadratmetern umfassen. Das gefällt nicht allen. Der Innenhof sei zu "betonlastig", von allen Seiten sei man eingeschlossen, bemerkte Yvonne Großmann (Grüne). Sie befürchtete, dass zu wenig Sonnenstrahlen ins Innere des Hofes gelangen könnten. Architekt Steffelbauer konnte diesen Einwand jedoch schnell entkräften: Es sei sicherlich nicht das Ziel, einen "Betonbau" zu errichten. Im Innenhof soll ein See angelegt werden, drumherum sind etwa 20 Bäume geplant. Der Freiraum sei zudem so groß, dass zu allen Jahreszeiten reichlich Sonnenlicht in den Hof fallen werde. Man werde die Außenwände in braunen und sandfarbenen Tönen halten und teilweise mit Holzelementen verkleiden. Dadurch entstehe eine warme, angenehme Atmosphäre, versicherte der Architekt. Bis man sich sein eigenes Bild von dem Neubau machen kann, werden aber noch Jahre vergehen. Mit seinem einstimmigen Beschluss am Ende gab der Gemeinderat lediglich seine Zustimmung, das Änderungsverfahren für den geltenden Bebauungsplan einzuleiten. Der tatsächliche Baubeginn stand noch gar nicht zur Debatte.

Sobald das neue Seniorenzentrum fertig ist, dürfte es, den Plänen nach zu urteilen, in jedem Fall aus seiner Umgebung herausstechen. Man solle aber keinen falschen Eindruck bekommen, stellte Peter Maier klar: Dies sei kein Prestigeprojekt. Alles an diesem Vorhaben sei wichtig und absolut erforderlich. Kleiner ließe es sich einfach nicht machen - und das müsse man auch nicht, denn: "Senioren müssen wir nicht verstecken."

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Quelle:
SZ vom 03.08.2021
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