Süddeutsche Zeitung

Tierwohl in Poing:Glück im Stall

Die Rinder des Schimpfhofs in Angelbrechting haben nun eine neue Unterkunft bezogen. Dort haben sie trockenes Stroh unter den Klauen, mehr Platz, viel Frischluft und Tageslicht. Über ein engagiertes Projekt, das ein unliebsamer Fund beinahe vereitelt hätte.

Von Anja Blum, Poing

Im neuen Rinderstall des Schimpfhofs fallen regelmäßig Strohballen vom Himmel. Ein bis zwei Mal am Tag streut der Bauer von Hand ein, was bedeutet, dass er Stroh von einer hohen Tribüne hinunter in die Boxen wirft. Was folgt, ist ein drolliges Schauspiel: Die Tiere nämlich, vor allem die jungen, haben eine helle Freude daran, die Ballen selbst zu zerlegen und das gelbe Zeug quer über den Boden zu verteilen. "Da werden echt Kindheitserinnerungen wach", sagt Katharina Schimpf, die Bäuerin, und strahlt übers ganze Gesicht.

Üblich sind solch tollenden Rinder beileibe nicht: Nur weil der Untergrund dieses Stalls in Angelbrechting bei Poing nicht rutschig ist, sondern den Klauen der Tiere Halt bietet, trauen sie sich, ihre natürlichen Verhaltensweisen zu zeigen. Auch mal zu hüpfen, auszuschlagen und von hinten auf einen Artgenossen zu springen. "Außerdem sind sie jetzt völlig gechillt, das war vorher nicht so", sagt Bauer Michael Schimpf. Und tatsächlich, in diesem Stall geht es zu wie auf einer Weide: Ein Teil der Tiere frisst, ein anderer liegt ganz entspannt hinten auf dem Stroh, döst dort oder käut wieder. Zu dieser Gelassenheit trägt auch die Art der Fütterung bei, wie der Landwirt erklärt: Die Rinder bekommen eine sogenannte Totale Mischration, der alle Komponenten bereits beigemengt sind, Kraftfutter wird nicht extra zugegeben. "Bei uns ist jeder Bissen gleich, da muss keiner Angst haben, zu kurz zu kommen."

Ein Geheimnis dieses Stalls ist auch der sogenannte Tret-Mist: Dank des Gewichts der sich bewegenden Tiere wandert der Dreck unter dem von hinten eingestreuten Stroh beständig nach vorne und landet letztlich, nach einer kleinen Stufe, in einer breiten Rinne, dem Mistgang, der viermal am Tag mit einem elektrischen Schieber gereinigt wird. "So stehen die Rinder beim Fressen auf einem sauberen Boden, dabei können ihre Klauen trocken", erklärt Michael Schimpf Junior. "Das ist ganz wichtig für ihre Gesundheit."

Was außerdem sofort auffällt: In diesem Stall stinkt es nicht, oder nur kaum, und die sonst obligatorischen Fliegenschwärme gibt es ebenfalls nicht. "Klar, der Mist ist hier dauernd in Bewegung, da haben Nester keine Chance", erklärt der Jungbauer. Die Schwalben hingegen halten unter dem großen Holzdach bereits Ausschau nach geeigneten Nistplätzen. "Glück im Stall", hätten sich die Bauern früher immer gewünscht, erzählt Katharina Schimpf - und man kann sagen: Sieht gut aus hier.

Sommersonne oder Wintereis: Rinder kommen mit den hiesigen Jahreszeiten gut zurecht

Erstaunlich ist auch, dass die Bullen die Sonne mitnichten meiden: Trotz Außentemperaturen von mehr als 30 Grad liegen sie auf dem - durch einen langen Lichtfirst - hell erleuchteten Stroh. Andererseits steht freilich zu befürchten, dass es in diesem Laufstall ziemlich kalt werden wird im Winter, denn seine Längsseiten sind jeweils etwa zur Hälfte offen. "Aber das macht gar nichts", erklärt Jessica Becker vom Ebersberger Landwirtschaftsamt, "Rinder kommen mit unseren Jahreszeiten eigentlich wunderbar zurecht". Überhaupt ist der Angelbrechtinger Stall für die Expertin ein sehr gelungenes Beispiel für mehr Tierwohl, deswegen ist sie bei der Besichtigung dabei.

Vor fünf Wochen erst haben die Stiere, Ochsen und Kälber des Schimpfhofs ihr neues Wohlfühl-Domizil bezogen. Zuvor waren sie in einem Stall aus den 70er Jahren mit Vollspaltenboden untergebracht. Ein solcher Boden ist aus Beton, Urin und Kot der Tiere fallen beziehungsweise rinnen durch Ritzen in eine Güllegrube. Außerdem gab es in dem alten Stall weniger Platz und kaum frische Luft.

Dass die Familie nun beschlossen hat, auf einem Acker hinter dem Hof für ihre Rinder einen Außenklima-Stall mit Stroheinstreu zu bauen, hat vor allem mit einem Menschen zu tun: Michael Schimpf Junior, gerade mal 23 Jahre alt. Er nämlich will und wird den elterlichen Betrieb übernehmen. Das ist dann die siebte Generation. "Mir macht das Spaß, ich gehe sehr gerne in den Stall", sagt er - und damit das auch so bleibt, hat die Familie jetzt eben kräftig in die Zukunft investiert. "Andernfalls hätten wir das wohl nicht mehr angepackt", gesteht der Vater. Schließlich ist so ein Stallneubau schon eine finanzielle Herausforderung, wie Becker weiß. "Das ist von den meisten Betrieben nicht so leicht zu stemmen."

Auch bei den Schimpfs war es nicht einfach - vor allem wegen eines unliebsamen Fundes: Der Acker, auf dem nun der neue Stall steht, war vor 2000 Jahren schon einmal bewohnt, bei den Erdarbeiten tauchten Siedlungsreste auf. Und wie in solchen Fällen üblich, rückten die Archäologen an - vom Staat verordnet, vom Bauherren bezahlt, ein Zurück gab es da nicht mehr. "Das hat uns zwei Monate Zeit und rund 50 000 Euro gekostet", fasst der Junior zusammen, und auch die Eltern machen keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich über die von oben verordnete Zusatzausgabe ärgern. "Dabei hat man nicht mal etwas Relevantes gefunden, nur ein Skelett, eine Urne und ein bisschen Schrott", sagt Katharina Schimpf.

Der Schimpfhof setzt neben Bullenmast und Ackerbau auch auf Direktvermarktung

Techniker für Agrarwirtschaft ist der Junior bereits, momentan legt der 23-Jährige noch eine Ausbildung bei der Metzgerei Heilmann in Grafing drauf. Denn der Schimpfhof mit seinen 40 Hektar betreibt nicht nur Bullenmast und Ackerbau, sondern setzt auch auf Direktvermarktung: Kartoffeln und Fleisch kann man dort kaufen. Aktuell zählt die Mast in Angelbrechting rund 50 Tiere aller Gewichtsklassen, konzipiert ist der Stall für die doppelte Menge Rinder, in den kommenden Monaten soll langsam aufgestockt werden. Die Kälber - allesamt aus umliegenden Betrieben -kommen mit ein paar Monaten auf den Schimpfhof, geschlachtet werden sie, wenn sie etwa zwei Jahre alt sind. "Der Abschied ist dann natürlich auch für uns nicht schön, man hat ja schon immer seine Lieblingskälber", sagt Katharina Schimpf.

Nun ist das Leben der Rinder freilich immer noch kurz - aber wenigstens um einiges schöner. "Auch die Bauern sind daran interessiert, dass ihr Tiere entspannt und gesund sind", berichtet Becker aus ihrer Erfahrung, denn das Landwirtschaftsamt berät und unterstützt, wenn ein Betrieb für mehr Tierwohl sorgen, also zum Beispiel seinen Stall entsprechend umbauen oder gleich einen neuen errichten will. "Wir versuchen immer, tiergerechtere Lösungen und vor allem auch Fördermöglichkeiten zu finden."

Auf staatliche Zuschüsse haben die Angelbrechtinger verzichtet - erfüllen die Erfordernisse aber trotzdem

Wobei das nicht immer gelingt - wie das Beispiel Schimpfhof zeigt: Die Familie hat ihren neuen Stall ohne staatliche Zuschüsse gebaut, und zwar wegen der damit verbundenen Auflagen. Der Junior nämlich hat bereits in anderen Tret-Mist-Ställen gearbeitet und dabei erlebt, dass breite Boxen, wie sie für die Förderung verlangt werden, eher nachteilig sind. "Das System funktioniert bei eher längeren Flächen einfach besser." Also haben die Schimpfs auf das Geld verzichtet - erfüllen die Förderauflagen, jenseits des Zuschnitts der Boxen, aber trotzdem. Einfach aus Überzeugung.

Ein Problem ist nur, dass es bei Rindfleisch noch keine offizielle Klassifizierung gibt wie bei Geflügel oder Schwein - eine schlechte Verhandlungsbasis für einen engagierten Erzeuger wie die Schimpfs. "Wenn man es übertragen würde, entsprächen wir momentan der Haltungsklasse drei", erklärt der Junior. Momentan - weil der neue Stall so konzipiert ist, dass der Betrieb ohne viel Aufwand sogar auf Bio umgestellt werden könnte. Das Freigelände, das es dafür bräuchte, ist für die Schimpfs auf jeden Fall schon mal eine Option. Nun aber hoffen die Landwirte erst einmal, dass sie Abnehmer, also Endkunden oder Metzger finden, die ihre Bemühungen ums Tierwohl auch beim Bezahlen honorieren mögen. Damit nämlich wäre das Glück im Stall dann wohl ziemlich perfekt.

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