Ein weltbekanntes Stück, in dem das Komische und das Tragische ganz meisterlich verwoben sind, gespielt von einer kleinen Laienbühne – kann das funktionieren? Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ ist eine zeitlose Parabel, es geht um Schuld, Rache, Sühne und die Macht des Geldes. Ein ganzes Dorf lässt sich hier kaufen. Doch dieser ganze Ernst ist garniert mit diversen Absurditäten, auch die Inszenierung soll alles andere als eine perfekte Illusion sein. Um ein paar Bäume darzustellen zum Beispiel, lässt Dürrenmatt einfach ein paar umstehende Bürgerinnen und Bürger mit Zweigen wedeln. Skurril – aber zugleich eine einfache Lösung, die den beschränkten Möglichkeiten einer Laienbühne durchaus entgegenkommt.
Die Theatergruppe der „Poinger Kulturtage“ ist es, die nun den berühmten „Besuch der alten Dame“ auf ihren Spielplan gesetzt hat. „Zuerst wussten wir zwar gar nicht, ob wir das Stück mit unseren wenigen Mitspielerinnen und Mitspielern umsetzen können, aber es hat geklappt“, erzählt Cornelia Gütlich am Rande einer Probe. Sie ist die Vorsitzende des Vereins hinter den Poinger Kulturtagen, einer Veranstaltungsreihe mit eben Theater, aber auch mit Kabarett, Konzerten, Ballett, Lesungen. Ihr Vater Michael Gütlich führt beim Schauspiel stets Regie, Mutter Sabine kümmert sich um Finanzen, Kostüme, Kulissen und fungiert als Sprachrohr ihres Mannes, der aufgrund seiner 84 Jahre inzwischen nicht mehr ganz so aktiv am kreativen Geschehen teilnehmen kann.
Doch genau das macht diese bereits seit 2010 bestehende Theatergruppe aus: der familiäre Charakter – inklusive großen Verständnisses für persönliche Belange. Viele seien von Anfang an dabei, man kenne sich also sehr gut, erzählt Cornelia Gütlich, und sei bestens aufeinander eingespielt. „Deswegen traut man sich auch, auf der Bühne mal richtig aus sich rauszugehen.“ In besonders starken Szenen werde dann zwar schon mal gelacht – „aber immer sehr herzlich“.
Wer nun jedoch glaubt, die Poinger Theatertruppe bestehe in ihrem 14. Jahr aus lediglich älteren Menschen, der irrt. Der Jüngste, Lukas Kerscher, ist gerade mal 17, er spielt das exotische Schoßhündchen der alten Dame, einen schwarzen Panther. Auf allen Vieren muss er sich trotzdem nicht fortbewegen. „Wir wollen zwar eine Illusion“, erklärt Sabine Gütlich, „aber sie soll würdevoll sein.“ Von Nesthäkchen Lukas geht es dann in vielen Zwischenstufen hinauf bis zu 70 plus. „Und auch heuer sind wieder ein paar Neue hinzugestoßen“, freut sich Cornelia Gütlich.
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Die Poinger „Kulturtage“ gibt es inzwischen seit zehn Jahren. Auch heuer bietet der Verein wieder ein vielfältiges Programm aus Musik, Tanz, Theater, Literatur und Kabarett.
Gespielt und geprobt wird in der Aula der Anni-Pickert-Grund- und Mittelschule. Da das Stück diverse Schauplätze bietet, waren viel Fantasie und gute Ideen für eine praktikable Umsetzung gefragt: Die von der Truppe selbst gestaltete Kulisse zeigt den Ort Güllen und ist äußerst variabel. Ein paar Hausfassaden, Bank und Tisch machen Straßenszenen möglich, aber auch solche im Wirtshaus oder in einem Laden. Sogar die von Dürrenmatt ersonnene Fortbewegung der alten Dame – sie wird in einer Sänfte getragen – wird von den Poingern auf sehr pragmatische Weise realisiert.
Ein ganzes Jahr Vorbereitung liegt bereits hinter den Akteurinnen und Akteuren. Im Herbst habe man das Stück ausgewählt, im Januar mit den Leseproben begonnen, berichtet Cornelia Gütlich. Jetzt ist es nur noch eine Woche hin bis zur Premiere am Freitag, 11. Oktober, die Anspannung dementsprechend hoch. „Aber das kennen wir schon“, sagt Sabine Gütlich und lacht. „In dieser Phase läuft es immer eckig anstatt rund. Aber bei der Premiere passt es dann wieder.“
Das Kostüm der Pfarrerin (Katrin Eittinger) hängt offenbar seit Tagen irgendwo am Brenner fest, ein paar der Mitwirkenden sind erkrankt, eine der Fassaden verliert während der Probe plötzlich ein Fenster, auch der Schulgong funkt dazwischen. Doch diese Poinger Theaterfreunde scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Die Geistliche trägt eine Ersatz-Soutane, Sabine Gütlich spricht den Text aller Abwesenden und die baulichen Mängel werden kurzerhand in die Vorstellung integriert. „Schreit’s nachher nicht so rum“, mahnt Rudi Sedlmeier als Bürgermeister, „sonst fällt dahinten wieder was runter.“
Einen doppelten personellen Boden übrigens gibt es bei dieser Inszenierung nicht: Keine der Rollen ist zweifach besetzt, ganz im Gegenteil. Um Dürrenmatts tragische Komödie überhaupt aufführen zu können, müssen viele der 16 Darstellerinnen und Darsteller gleich mehrere Personen spielen. Auf die beiden Hauptdarsteller indes trifft das natürlich nicht zu. Ines Kohlschmidt als Multimilliardärin Claire Zachanassian und Tobias Püchner als Gemischtwarenhändler Alfred III haben schließlich alle Hände voll damit zu tun, das Drama voranzutreiben.
Schon zu Beginn des Stücks, bei der ersehnten Ankunft der reichen alten Dame, wird die Spannung greifbar: Die Bewohner des abgehängten, bankrotten Ortes hoffen inständig auf einen Geldsegen aus der Hand ihrer ehemaligen Nachbarin. Doch diese hat nur Rache an ihrem Verflossenen im Sinn: Alfred III soll sterben. Kohlschmidt, ausstaffiert ganz in Schwarz mit Pelz, Perlen und Hut, stolziert sogleich herum und lässt überhaupt keinen Zweifel daran, dass hier alle nach ihrer Pfeife zu tanzen haben. Püchner wiederum versucht es zunächst mit der Großspurigkeit des Ex-Lovers: Er werde seinem „Wildkätzchen“ schon einen ordentlichen Betrag entlocken. Doch angesichts ihrer schroffen Art bricht sich schnell Unsicherheit Bahn. Schließlich weiß Alfred III ganz genau, was er seiner Freundin einst angetan hat...
Kulturtage Poing: „Der Besuch der alten Dame“ in der Aula der Anni-Pickert-Grund- und Mittelschule, Gruber Straße 4, gespielt wird am Freitag, 11. Oktober, um 19.30 Uhr (Einlass 18.30 Uhr) und am Sonntag, 13. Oktober, um 18 Uhr (Einlass 17 Uhr). Infos zu allen weiteren Terminen gibt es auf der Homepage.