Poing:Kein Platz für Fremdenfeindlichkeit

Poing: Am Poinger Mahnmal gedenken am Donnerstag zahlreiche Bürger des Massakers an KZ-Häftlingen vom 27. April 1945.

Am Poinger Mahnmal gedenken am Donnerstag zahlreiche Bürger des Massakers an KZ-Häftlingen vom 27. April 1945.

(Foto: Christian Endt)

Am Mahnmal des Poinger Todeszuges gedenken die Gäste auch des voriges Jahr verstorbenen Max Mannheimer

Von Victor Sattler, Poing

Worte und Bilder können die Gräuel des Nationalsozialismus nicht erfassen. Sie sind aber der einzige Weg, an das zu erinnern, was heute nur noch schwindend wenige selbst berichten können. Eine Idee, wie Gedenken funktionieren kann, liefert das Poinger Mahnmal: Die dürren Körper, die anonym in schieren Massen an sinnlos erwählten Opfern versinken. Die Skulptur mahnt an, etwas im Bewusstsein zu behalten, das man nur erahnen kann.

Vor diesem Mahnmal trafen sich am Donnerstag Bürger, Gemeindevertreter und Zeitzeugen, um gemeinsam des Todeszuges vom 27. April 1945 zu gedenken. Vor 72 Jahren waren etwa 3600 Häftlinge des aufgelösten Konzentrationslagers Mühldorf durch den Landkreis transportiert wurden, mindestens 50 Menschen wurden erschossen bei dem Versuch, dem Güterzug zu entfliehen. Die Redner näherten sich dem Massaker von verschiedenen Seiten an, indem sie Historie, Politik und Religion zitierten. Eine jedoch, die Zeitzeugin Brigitte Dinev, fasste sich kurz: "Ich kann heute gar nicht viel sagen. Aber ich denke fast das ganze Jahr daran, was damals war."

Die alljährliche Tradition musste dieses Mal besonders bekräftigt und hochgehalten werden. AfD-Politiker Björn Höcke hatte erschreckend deutlich gemacht, wie die Erinnerungskultur von einzelnen angegriffen wird. "Aber auch Poing hat sich ein Denkmal der Schande in sein Herz gesetzt", sagte Vikar David Scherf und bezog sich damit auf Höckes Dresden-Rede. "Nämlich kein schändliches Denkmal, sondern ein Denkmal an die Schande - damit sie nie aus dem Gedächtnis gestrichen wird." Das gesellschaftliche Klima werde wieder rauer, gerade das mache die Erinnerung aber unabdingbar, so Scherf. "Man darf nicht die Augen verschließen, sondern man muss dem stumpfen Populismus etwas entgegensetzen."

Pfarrer Christoph Klingan hinterfragte, wie Gedenken funktionieren könne, ohne selbst dabei gewesen zu sein. Das Lernen aus der Geschichte und das "Eingedenken fremden Leidens" seien es, die eine Öffnung bewirken und somit entscheidend zu unserer nötigen Weiterentwicklung als Gesellschaft beitragen.

Gelebt wurde diese Aufgabe von Max Mannheimer. Als Insasse und Überlebender des Todeszuges war Mannheimer ein häufiger Gast in Poing gewesen. Im September vorigen Jahres ist Mannheimer im Alter von 96 Jahren gestorben. "Er hatte den Traum einer Welt, in der Humanität an erster Stelle steht und kein Platz für Fremdenfeindlichkeit ist", hielt Pfarrer Klingan fest. "Mannheimer besaß einen ungeheuren Lebenswillen, suchte den Dialog und glaubte an das Gute im Menschen", erinnerte sich Poings Bürgermeister Albert Hingerl. Die persönlichen Nachrufe auf Max Mannheimer zogen sich als roter Faden durch die Reden.

Auch andere Zeitzeugen haben sich in Poing willkommen gefühlt, haben den Schauplatz bewusst aufgesucht, anstatt ihn zu meiden. "Es ist großartig, dass ich mich hier meiner gefallenen Freunde erinnern darf", habe der Zeitzeuge Gabriel Meltzer zu Historiker Heinrich Mayer gesagt. "Er meinte zu mir: Richten Sie meinen Dank an Poing aus", erzählte Mayer nun wiederum vor der Gemeinde - "und das habe ich hiermit getan." Mayer, ehemaliger Geschichtslehrer in Markt Schwaben, hat den Dank aber nicht bloß überbracht, sondern auch erwidert: Indem er die Erinnerung hinterfragte und über viele Jahre weiterforschte, mit neuen Erkenntnissen. Er konnte bei der Gedenkfeier nun berichten, dass nicht die Freiheitsaktion Bayern, sondern eine Revolte der Häftlinge zur Öffnung der Güterwaggons führte. "Es war ein Puzzlespiel", verriet Mayer. "Viele Fragen sind noch zu klären."

Der evangelische Vikar David Scherf musste sich bei den Gästen demütig entschuldigen: Er könne leider nicht bis zum Ende bleiben, denn er müsse nach Hause zu seinem Kind. Das hatte ihm keiner verübelt. Trotzdem trug er wenig später noch mit einer nachwirkenden Szene zum Abend bei: Als die vielen älteren Gäste schon unter ihren Regenschirmen beisammenstanden, vor dem Mahnmal und den frischen Blumen, war er nochmals mitten unter ihnen - und bei ihm auf dem Arm sein kleiner Sohn. Der Bub dürfte den düsteren Ort zum ersten Mal bewusst gesehen haben. Sein Papa wird ihm beizeiten sicher darüber erzählen.

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