Poing/Freising:Die Polizisten fragten nicht weiter nach

Drogenkriminalität am Münchner Hauptbahnhof, 2016

Polizisten im Einsatz (Symbolfoto).

(Foto: Florian Peljak)

Poing diskutiert über einen Autofahrer, der eine Zwölfjährige zum Einsteigen aufforderte. Es gibt viele offene Fragen, manche davon wurden dem Mann gar nicht erst gestellt.

Analyse von Korbinian Eisenberger, Poing/Freising

Es ist das Thema diese Woche bei vielen Lehrern und Eltern, deren Kinder auf die Poinger Anni-Pickert-Schule gehen: der Mann im Auto, der das Mädchen mit den nassen Haaren auf der Straße ansprach. Aus der Polizeimeldung über den Vorfall ergaben sich viele Fragen, im Internet wurde wild spekuliert. Harmlos oder gefährlich? Am Donnerstag hat die Polizei nun weitere Details zu dem Fall offen gelegt, durch die sich etwas besser zusammenfügen lässt, was sich vorigen Montagnachmittag auf einer Straße nahe des Poinger Wildparks abspielte.

Anlass für Nachfragen war nicht nur die Polizeimeldung, sondern auch eine Poingerin, die sich am Mittwoch über Facebook öffentlich als "Zeugin" zu Wort meldete. Am Donnerstag erklärte die 32-Jährige der SZ nun am Telefon, wie sie die Situation erlebte, und ihre Schilderung unterscheidet sich in mehreren Punkten von der Polizeimeldung: Für sie war das Kind nicht "tropfnass", wie es die Polizei formuliert hatte, sondern lediglich "leicht feucht". Ob das Kind nass genug war, dass man sich darum sorgt? Entscheidender ist wohl, dass die Frau beobachtet haben will, wie der Wagen ein zweites Mal an der Zwölfjährigen vorbeifuhr. Die Polizei hatte davon nicht berichtet. Es hieß, dass der Mann wegfuhr, als sich ein Passant ihm näherte.

Es geht bei all dem um die entscheidende Frage, die sich in Poing gerade viele stellen: Hatte der Mann, der in der Vergangenheit polizeilich noch nie auffällig wurde, vielleicht doch Hintergedanken? Oder war es so, wie es die Polizei darstellt? Um offene Fragen zu klären, hat Poings Polizeichef Helmut Hintereder am Donnerstag mit jenen Kollegen gesprochen, die den Autofahrer befragt hatten. Dabei kam heraus, dass der 44-Jährige von sich aus erklärte, dass er beruflich in Markt Schwaben unterwegs gewesen und gerade von dort gekommen sei. Zudem bestätigte sich die Aussage der Zeugin, dass er tatsächlich noch ein zweites Mal an dem Mädchen vorbeifuhr.

Ein Familienvater sollte wissen, dass so viel Hartnäckigkeit auffällig ist

Für die Beamten war der Fall klar. "Sie haben den Eindruck gewonnen, dass da überhaupt nichts dahinter steckt", so Hintereder. So könnte es gewesen sein: Ein Mann, der aus dem Landkreis Freising stammt, kommt bei der Heimfahrt von einem Termin in Markt Schwaben in Poing vorbei und findet sich plötzlich am Eingang des Wildparks wieder. Weil es dort nicht weiter geht, nimmt er die Abzweigung und dreht zwangsläufig noch mal die gleiche Runde. Folglich fährt er wieder durch die Straße, wo ein Bauarbeiter und eine Frau neben dem Mädchen stehen und sich das Nummernschild notieren. Das wäre die Erklärung, die sich alle wünschen.

Offen bleiben jene Fragen, die die Freisinger Beamten gar nicht erst stellten, wie Hintereder bestätigt. Vielleicht, weil der Freisinger nur gebrochen deutsch sprach? Unklar bleibt so, warum das Mädchen mehrmals gefragt wurde, ob es einsteigen will, obwohl ein Familienvater wissen müsste, dass so eine Hartnäckigkeit auffällig ist. Von Markt Schwaben über Poing in den Landkreis Freising zu fahren, ist eigentlich ein Umweg. Hat er sich verfahren? Und warum fuhr er weg, als sich der Bauarbeiter näherte? Auch diese Fragen stellten die Beamten laut Hintereder nicht. Dass der Mann wiederkam, weil er nicht in den Wildpark wollte, klingt schlüssig, ist aber keine Aussage von ihm, sondern eine Vermutung der Polizei.

Es ist wie so oft in solchen Fällen. "Es bleibt Ungewissheit", sagt Schulleiterin Luitgard Stephan-Wagenhäuser. In der Schule haben sie den Fall thematisiert, zumal sich kürzlich schon einmal zwei Mädchen gemeldet hätten, die sich unabhängig voneinander beim Heimweg beobachtet fühlten, so die Rektorin. Als Reaktion auf den Vorfall vom Montag habe sie die Lehrer gebeten, ihre Schüler erneut zu sensibilisieren. "Wir sollten aber vernünftig bleiben und nicht unnötig Ängste schüren. Viele Kinder haben mich angesprochen und gesagt, dass sie nie bei Fremden einsteigen würden." Das und die Reaktion des Mädchens vom Montag zeige, "dass die Kinder von Schule und Eltern gut vorbereitet sind".

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