Poing:Erfrischend schön

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Genau auf die Tasten komponiert hat Michaela Dietl ihre Kantate vermutlich ihren Poinger "Quetschenweibern". (Foto: Christian Endt)

Gelungene Uraufführung einer Kantate von Michaela Dietl in der Poinger Christuskirche

Von Annette Tubaishat, Poing

Kantaten gibt es ja viele, Johann Sebastian Bach hat einige komponiert, auch Gustav Mahler. Namhafte Komponisten also. Jetzt gibt es auch eine von Michaela Dietl. Vergangenen Sonntag wurde das Werk der Musikerin und Komponistin, die mehr als drei Jahrzehnte in Poing gelebt hat, zum ersten Mal vor Publikum aufgeführt. Rund zwanzig Minuten dauerte das Stück, das Michaela Dietl am Akkordeon gemeinsam mit ihren 15 Quetschenweibern sowie der Sopranistin Beatrice Greisinger und Roswitha Pross am Alphorn in der Christuskirche intonierte. Der Titel "So wie du bist, so liebst du" fügte sich zwar in das sakrale Ambiente der Christuskirche, das Werk selbst kommt allerdings weniger geistlich als vielmehr weltmusikalisch daher. Geschuldet ist das nicht nur den Instrumenten, sondern auch der Intention der Komponistin. "So wie du bist, so liebst du" soll verstanden werden als spirituelle Frage an uns selbst, sagte Michaela Dietl: "Wie bin ich? Wie liebe ich? Wer bist du?". Doch selbst jene Zuhörer, die lebens- und weltbewegende Fragen an einem Konzertabend lieber eher außen vor lassen, durften sich über ein diffizil arrangiertes, wunderbar intoniertes, schön gesungenes, vor allem aber erfrischend anderes Werk freuen. Die Kantate bildete den krönenden Abschluss des Konzertes, bei dem die Quetschenweiber, 15 Laienspielerinnen am Akkordeon, unter Leitung von Michaela Dietl zuvor drei Lieder gespielt und die Mitglieder des Vokalensembles Lilamunde verschiedene kirchliche Stücke gesungen hatten.

Zunächst dringen kurios anmutende Geräusche durch den Kirchenraum. Vogelgezwitscher oder das Glucksen eines Babys? Ruhiges, aber lautes Atmen, hervorgerufen von Roswitha Pross am Alphorn. Dann der klare Klang zweier Quetschen. Unsichtbar für das Publikum, denn die Spielerinnen sitzen auf der Empore. Plötzlich setzt das Alphorn ein, vehement, fast wie ein Schiffshorn. Schließlich gewinnt das musikalische Gebilde eine Form. Die Melodie, gespielt von Dietl, die ganz aufgeht in der Kantate, wiederholt sich, zuerst scheinbar endlos. Doch dann wird die Tonfolge in einem komplizierten, mehrstimmigen Arrangement durch die begleitenden Akkordeons aufgelöst. Mit glockenreiner Stimme setzt schließlich die Sopranistin Beatrice Greisinger ein. "So wie du bist, so liebst du", es ist dieser eine Satz, der in verschiedenen Variationen wiederholt wird. Mal laut, mal leise, mal begleitet von den Quetschenweibern und dem Vokalensemble Lilamunde, mal beinahe als Sprechgesang, so dass der Vokalteil wie ein Rhythmusinstrument anmutet. Dynamik gewinnt das Werk auch durch die beiden "unsichtbaren" Akkordeon-Spieler, die ihre leisen Einsätze von der Empore aus in den Raum schicken, und deren Melodie vom Akkordeon-Orchester unten auf der Bühne aufgegriffen wird. Viele der Zuhörer lassen die Musik mit geschlossenen Augen auf sich wirken. Doch dann gibt es eine Zäsur: Gekonnt schräge, disharmonische Töne stören das Geschehen, und wer die Augen bisher geschlossen hatte, guckt irritiert umher. "Es ist das Lebenstrauma, die Verwundung", erklärt Dietl später, "es geht um die Frage: Wie gehen wir mit unseren Gefühlen um, welche Haltung nehmen wir ein, wenn es um die schwierigen Situationen im Leben geht". Die Kantate findet schnell zur Lösung: Die Disharmonie ordnet sich zu einer lieblichen und versöhnlichen Melodie, die am Ende leise ausklingt.

Das Publikum, etwa 120 Zuhörer in einer beinahe bis auf den letzten Platz besetzten Christuskirche, bedankt sich mit großem Applaus. "Erfrischend schön", sagt Besucherin Christa Müller über die Kantate, "man beginnt dann schon nachzudenken über die gesungenen Worte". Auch Wolfgang Scheuermann, der dem Konzertbesuch seiner Frau zuliebe zugestimmt hatte, ist positiv überrascht: "Die Harmonie und Freude beim Spielen war den Quetschenweibern ja direkt anzusehen." Viele haben vor allem den meditativen Charakter des Stücks genossen: "Da muss man nicht besonders spirituell sein, um sich angesprochen zu fühlen", findet zum Beispiel Heidelore Hofmann.

Fünf Jahre lang hat Michaela Dietl an der Kantate gearbeitet. Trotz großer Erfahrung im Komponieren von Musik für Film und Theater, ging ihr dieses spezielle, geistliche Werk nicht so leicht von der Hand: "Ich habe es immer wieder weggelegt, aber dann doch wieder aus der Schublade gezogen und weiter geschrieben", erzählt sie. "So ein kompliziertes Stück habe ich noch nie geschrieben. Ich wusste lange nicht, ob ich es jemals auf die Bühne bringen würde." Zum Glück ist ihr dies nun doch noch gelungen.

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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