Nach einer japanischen Legende versuchten vor langer Zeit tausende "Koi"-Fische den "gelben Fluss" hinaufzuschwimmen. Über Stromschnellen und Wasserfälle hinweg. An dem letzten großen Wasserfall scheiterten die Karpfen jedoch. Lediglich einer der Fische versuchte es immer wieder, bis ihm der Sprung nach einigen Jahren gelang. Beeindruckt vom Ehrgeiz verwandelten die Götter den kleinen Fisch in einen Drachen.
"In der Geschichte geht es um Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Deswegen haben wir unsere Band nach diesem Fisch benannt", erklärt Sängerin Sandra Weißenberger. 50 Leute sind in das Lokal "Poinger Herzschlog" gekommen, um die Alternative-Band Koi zu hören. In fast schon Irish-Pub-ähnlicher Atmosphäre verfolgen sie die klare Stimme der 33-Jährigen, die von der harten Rockmusik ihrer drei Bandkollegen durch den Abend getragen wird.
Da sind: eingängige Bass-Riffs von Wolfgang Doning, die donnernd durch das Lokal hallen. Das Kreischen der E-Gitarre aus einem riesigen Marshallverstärker, wenn der langhaarige Gitarrist Josef Nguyen von den klassischen Powerchords in seine Pentatonik-Soli wechselt. Das von Sven Pramschüfer rockig gespielte Schlagzeug mit scheppernden Becken, einer aggressiven Snare und einem stampfenden Sound der Base-Drum. Dazu die Stimme der Sängerin, die einen Besucher - der sich selbst als "Fan erster Stunde" bezeichnet - an die kanadisch-US-amerikanische Sängerin Alanis Morisette erinnert.
Dass viele der Gäste Koi, deren Musiker aus Finsing, Haar, München und Markt Schwaben stammen, an diesem Abend nicht zum ersten Mal hören, lässt sich an der textsicheren Begleitung erkennen: "Ich habe mich zwischenzeitlich schon gefragt, woher der Zweitgesang kommt, und dachte, dass ich möglicherweise den Effekt eingeschaltet habe, der meine Stimme doppelt", sagt die Sängerin hinterher lachend. Alles dürfte den Fans aber nicht bekannt gewesen sein, denn die Ankündigung "das ist jetzt ein neuer Song" gibt es nicht nur einmal zu hören. 13 neue Songs hat die Rockband seit Januar geschrieben, weshalb Weißenberger die letzten Monate als "kreative Explosion" empfand. "Ich habe davor acht Jahre in einer Coverband gespielt. Da hat mir der kreative Aspekt gefehlt." Diesen könne sie bei Koi ausleben und in den Eigenkompositionen ihren Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen, erzählt sie.
Ein Höhepunkt des Auftritts ist die Ballade "Goodbye", die Abwechslung in das sonst fast durchgehend rockige Konzert bringt: "Diesen Song habe ich für einen Freund geschrieben, der vor ein paar Jahren verstorben ist", kündigt die Sängerin das melancholische Lied an. Aus dem dynamischen Tanzen der Zuschauer wird ein langsames Schunkeln. Bald bewegen sich viele gar nicht mehr und achten ausschließlich auf den Text, in dem die Sängerin von ihrem letzten Treffen mit ihrem verstorbenen Freund erzählt.
Koi ist eine von 15 Bands, die in der vergangenen Zeit im "Poinger Herzschlog" gespielt haben. Eintritt wird in der Kneipe nicht verlangt. Stattdessen geht Wirt Oliver Becker, selbst ein Hobbymusiker, gegen Ende eines jeden Auftritts mit einem Hut herum. "Die Zuschauer können so selbst entscheiden, was sie zahlen wollen", sagt er. Ein Konzept, das nach seinen Angaben aufgeht: "Wir versuchen, zwei Mal im Monat Konzerte zu machen, und die Location ist normalerweise immer voll", erzählte Becker. Dass das Lokal an diesem Abend nicht bis zum letzten Platz gefüllt ist, führt er auf das zeitgleich stattfindende Volksfest zurück.
Mit diesem Konzept versucht Becker, engagierten Musikern die Möglichkeit zu bieten, auf einer Bühne vor einem größeren Publikum zu spielen: "Das gibt es einfach kaum noch." Der Musikstil sei dabei egal, erklärt er. "Wir hatten in der letzten Zeit Rock-, HipHop-, Boogie Woogie- und Irish Speedfolk-Künstler bei uns." Ob es sich bei den Bands um bereits bekannte Gruppen oder um Musiker handelt, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, sei ebenfalls nicht wichtig. Schließlich muss man auch eher kleinen Fischen die Möglichkeit zum Absprung geben, damit sie vielleicht irgendwann einmal ganz groß rauskommen.