Zivilcourage:Einschreiten oder lieber weggehen?

Zivilcourage: Alle waren sie zusammengekommen: Trainer Ralph Kappelmeier, Uli Hoeneß, Lehrerin Petra Baumgartner, Trainer Nico Witte, Andreas Voelmle von der Unternehmensberatung Engel & Zimmermann, Schulleiterin Sylvie Schnaubelt und Vorsitzender des Dominik-Brunner-Fördervereins Peter Dreier (von links).

Alle waren sie zusammengekommen: Trainer Ralph Kappelmeier, Uli Hoeneß, Lehrerin Petra Baumgartner, Trainer Nico Witte, Andreas Voelmle von der Unternehmensberatung Engel & Zimmermann, Schulleiterin Sylvie Schnaubelt und Vorsitzender des Dominik-Brunner-Fördervereins Peter Dreier (von links).

(Foto: Christian Endt)

Seit elf Jahren bildet ein Team von Polizeibeamten in Kooperation mit der Dominik-Brunner-Stiftung bayerische Lehrkräfte im Bereich Zivilcourage aus - sie fungieren dann als Multiplikatoren für Schulklassen. Die Dominik-Brunner-Realschule in Poing hat das Konzept 2016 in seinen Lehrplan aufgenommen.

Von Ulli Kuhn, Poing

Es liegt gut einen Monat zurück, als Virginia Ohlmann beherzt in eine Schlägerei am Poinger Bahnhof eingegriffen und diese gestoppt hat - und damit womöglich Schlimmeres verhindert hat. Woher sie diesen Mut nahm? Schwer zu sagen - aber es liegt nahe, dass auch ein Schulprojekt einen Teil dazu beigetragen hat: Dort lernte die Zehntklässlerin der Poinger Dominik-Brunner-Realschule etwas zu zivilcouragiertem Verhalten.

Das Schulprojekt nennt sich "Pack ma's" und ist eine Kooperation der Dominik-Brunner-Stiftung, dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und Trainern. "Wir haben mit der Schulung mittlerweile bestimmt mehr als eine halbe Million Kinder und Jugendliche erreicht", sagt Ralph Kappelmeier am Dienstagvormittag - ein Meilenstein also. Der Gründer und Trainer des "Pack ma's"-Konzepts war zusammen mit seinem Trainer-Kollegen Nico Witte, Peter Dreier, Vorsitzender des Dominik-Brunner-Fördervereins, und dem Kuratoriumsvorsitzenden der Dominik-Brunner-Stiftung Uli Hoeneß für ein Pressegespräch zu Gast in Poing bei Schulleiterin Sylvie Schnaubelt in ihrer Dominik-Brunner-Realschule. Dort stehen die Zivilcourage-Kurse seit 2016 im Lehrplan der siebten Klassen - und Virginia Ohlmann hat ihn auch durchlaufen.

Zivilcourage: Seit November 2009 ist Uli Hoeneß Kuratoriumsvorsitzender der Dominik-Brunner-Stiftung.

Seit November 2009 ist Uli Hoeneß Kuratoriumsvorsitzender der Dominik-Brunner-Stiftung.

(Foto: Christian Endt)

Dominik Brunner ist ein Name, der wie kaum ein anderer für Zivilcourage steht: Im September 2009 wurde der Mann Opfer eines brutalen Gewaltverbrechens - er ist gestorben, weil er nicht weggesehen, sondern geholfen hat, als andere in Not waren. In Gedenken an ihn und seine couragierte Tat wurde die Dominik-Brunner-Stiftung ins Leben gerufen. Seitdem verfolgt sie drei Ziele: die Bevölkerung über Zivilcourage aufzuklären und sie dafür zu sensibilisieren, gewaltpräventive Arbeit zu leisten sowie Opfern Hilfe anzubieten.

Ganz in diesem Sinne steht auch das "Pack ma's"-Konzept - ursprünglich ein Projekt der Münchner Polizei für Münchner Schulen. Die mittlerweile sechs Trainerinnen und Trainer haben mehr als 5000 Lehrkräfte ausgebildet. Eineinhalb Tage dauert eine solche Schulung. "Wir sind in sechs von sieben bayerischen Regierungsbezirken unterwegs", sagt Trainer Nico Witte. Die geschulten Lehrkräfte handeln dann als Multiplikatoren: Sie bringen ihren Schülerinnen und Schülern im Rahmen von Projektarbeiten konstruktive Konfliktlösungsstrategien und Zivilcourage bei.

Die Reaktionen in Konfliktreaktionen können sehr unterschiedlich ausfallen

"Konflikte zu lösen ist eine schwierige Sache", sagt Trainer Kappelmeier. "Wenn sich ein Jugendlicher einem anderen in den Weg stellt und sagt, 'du darfst hier nicht vorbei, das ist mein Weg', was macht man dann?" Die möglichen Reaktionen könnten sehr unterschiedlich ausfallen: Versucht man sich durchzusetzen und geht um ihn herum? Soll man ihn zur Rede stellen? Oder aufgeben und weggehen? In den Kursen würde versucht, solchen und ähnlichen Szenarien auf den Grund zu gehen.

Kappelmeier und seine Kolleginnen und Kollegen würden von Eltern oft hören, dass sie ihrem Kind gesagt haben: Wenn jemand kommt und dich schlägt, schlag zurück! Den "Pack ma's"-Trainern zufolge ist das aber eine falsche Reaktion. "Wir sagen unseren Schülern und auch den Eltern immer: Zurückschlagen ist auch Schlagen", sagt Kappelmeier. Man sehe ja auch an dem tragischen Fall von Dominik Brunner, was passieren kann, wenn man die offene Konfrontation eingehe: Nicht immer geht die Situation für die eingreifende Person gut aus.

Aus den Erzählungen des Trainer-Duos wird klar: Es gibt nicht die eine richtige Reaktion für alle Eventualitäten. "Jeder Mensch ist anders", sagt Nico Witte. "Manch einer ist eher der Zurückhaltende und möchte nicht zu sehr in den Konflikt verstrickt werden, ein Anderer greift eher ein." Mögliche Handlungsspielräume sehen die Trainer bei jedem Persönlichkeitstyp. "Auch einfach nur Hilfe dazu zu holen ist vollkommen in Ordnung. Wir raten jedem und immer in Fällen von körperlicher Auseinandersetzung: Ruft die Polizei", so Witte weiter. Damit sei immer schon ein guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan.

Im Rollenspiel werden die Polizisten zu den bösen Krawallmachern

Nico Witte und sein Polizeikollege Kappelmeier gehen meist zu zweit an die Schulen. "In der Praxis arbeiten wir viel mit Simulations- und Rollenspielen", erzählt Kappelmeier. So würden die Lehrkräfte in ihren Schulungen dann beispielsweise Bus-Passagiere spielen, eine von ihnen den Busfahrer, jemand anderes eine alte Frau, andere die coolen Jugendlichen hinten im Bus und so weiter. "Und wir schlüpfen dann in die Rolle der Krawallmacher", sagt Witte.

"Wir machen auch viele Übungen, die darauf abzielen unter den Teilnehmenden Vertrauen aufzubauen", erzählt Witte weiter. "Das hat dann viel mit Fallen lassen oder den anderen halten zu tun." Bei einer Übung würde sich zum Beispiel ein Teilnehmender an einem Seil über dem Boden festhalten und die anderen müssten ihn halten, damit er nicht fällt. "Im Verlauf des Kurses merkt man, dass die Lehrkräfte als Gemeinschaft ein Stück näher zusammenwachsen."

Vielleicht gibt es bald regelmäßig Ehrungen für zivilcouragierte Menschen

Aktuell arrangiert die Dominik-Brunner-Stiftung eine ganz besondere Ehrung für Menschen, die Zivilcourage zeigten. 75 000 Menschen jubeln einem für das eigene vorbildliche Verhalten zu.

Hier hakt Schulleiterin Sylvie Schnaubelt gleich ein: Virginia Ohlmann, ihre Schülerin die in eine Schlägerei eingegriffen hatte und dafür sogar von der Poinger Polizei geehrt wurde - wäre sie da nicht eine geeignete Kandidatin? Die Leute von der Stiftung halten es durchaus für möglich.

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