Besuch:Frischkost für die Seele

Der Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer besucht die neue Gemüseschälerei der Regenbogen-Arbeit in Landsham. Der Betrieb der Integrationsfirma ist im Frühjahr von Haar ins Plieninger Gewerbegebiet gezogen

Von Alexandra leuthner, Pliening

Elke Seyband laufen plötzlich Tränen die Wangen hinunter. "Hier müssen Zwiebeln geschnitten worden sein", sagt sie und schaut sich suchend um, die Augen unter dem weißen Netzhäubchen zusammen gekniffen, das, wenig kleidsam zugegeben, ihre Haare bedeckt. Jeder der hinein will in die Hallen der Regenbogen-Frischkost, muss so eine Kopfbedeckung tragen. Das geht Betriebsleiter Markus Pirschlinger, der an diesem Morgen eine Besuchergruppe um den SPD-Bundestagsabgeordneten Ewald Schurer herumführt, nicht anders als jedem einzelnen Mitarbeiter. Auch jenem nicht, der jetzt einen großen, orangenen Korb aus einem blitzblanken Aluregal hervorzieht: Mehrere Kilo zerteilter Zwiebeln darin, die das scharfe Aroma verströmen. "Da gewöhnt man sich dran", sagt er und kann sich ein Schmunzeln kaum verkneifen.

Besuch: Hygiene ist Pflicht: Auch Besucher dürfen nur mit Kopfbedeckung in den Schälbereich. Darko Petrovic (r.) zeigt seine Arbeitsstätte.

Hygiene ist Pflicht: Auch Besucher dürfen nur mit Kopfbedeckung in den Schälbereich. Darko Petrovic (r.) zeigt seine Arbeitsstätte.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Häubchen sind ebenso wie die blauen Kittel und Schürzen der Mitarbeiter den hohen hygienischen Anforderungen geschuldet, die für einen Lebensmittel produzierenden Betrieb gelten. Das einheitliche Outfit passt aber zugleich zur Philosophie des Unternehmens, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen mit psychischen Behinderungen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und sie gleichberechtigt neben Menschen ohne derartiges Handycap arbeiten zu lassen. 60 Prozent der Regenbogen-Beschäftigten leiden an Depressionen oder einer anderen chronischen psychischen Erkrankung. Viele von ihnen haben jahrelange Klinikaufenthalte hinter sich und hatten über die Jahre ihres Leidens hinweg jede Aussicht verloren, in ein geregeltes Berufsleben zurück zu finden. Mitarbeiter des früheren Bezirksklinikums Haar haben die Regenbogen-Arbeit genau für solche Menschen 1989 ins Leben gerufen, mittlerweile beschäftige die GmbH, zu der auch ein Café mit Catering im Klinikum gehört, an die 170 Mitarbeiter, berichtet Regenbogen-Geschäftsführerin Seyband. Einer von ihnen, erzählt sie, habe inzwischen sein 25. Betriebsjubiläum gefeiert: mit Tariflohn, Vollbeschäftigung und einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. "Als er angefangen hat, konnte er immer nur zehn Minuten arbeiten, dann musste er zurück auf die Station."

Besuch: Die Mitarbeiter schälen Obst.

Die Mitarbeiter schälen Obst.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Von den Frischkost-Gemüseschälern mit Krankheitsgeschichte lebten die meisten jetzt selbständig oder in betreuten Wohngemeinschaften, nur wenige hätten Familie. "Da machen Arbeit und Kollegen einen großen Teil des Lebens aus." So war die Bestürzung groß, als im vergangenen Jahr klar wurde, dass die Räume in einer alten Metzgerei auf dem Gelände des Isar-Amper-Klinikums in Haar den hygienischen Anforderungen nicht mehr genügen konnten und eine Renovierung nicht finanzierbar war. Das Angebot des Bio-Großhändlers Hermann Oswald sei da gerade zu rechten Zeit gekommen, im Erdgeschoss seiner Firma Epos in Landsham Quartier zu nehmen. In den ersten Monaten dieses Jahres zogen beide Betriebe ein, und eine nagelneue Kantine, die den Epos-Angestellten offensteht, gleich neben der Frischkost-Produktionsstätte, ist der neueste Arbeitsbereich der Regenbogen GmbH. "Beim Umzug über die Osterfeiertage, da waren alle mit dabei und haben geholfen", erzählt Seyband. "Die Kunden haben nichts davon gemerkt."

Besuch: Die Äpfel werden im Ammerzelt verspeist.

Die Äpfel werden im Ammerzelt verspeist.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kartoffelschäler und Apfelentkerner arbeiten an diesem Morgen auf Hochtouren. Normalerweise sei hier von Sonntag bis Freitag Betrieb, damit die Kunden - darunter die Kantinen im Dante- und im Klenze-Gymnasium in München, der Postbank und der Allianz - jeweils pünktlich in der Früh um acht Uhr ihr frisches Gemüse geliefert bekommen, erklärt Betriebsleiter Pirschlinger. "Doch jetzt arbeiten wir durch." Frischkost beliefere auch das Ammerzelt auf dem Oktoberfest, in dessen Küche jetzt, kurz vor dem Anstich, die Vorbereitungen fürs Volksfest laufen. Die glänzenden Äpfel, die sich vor drei Mitarbeitern stapeln, werden gewürfelt und sind fürs Ammer-Blaukraut bestimmt.

Besuch: Die Zwiebeln verbreiten intensive Gerüche.

Die Zwiebeln verbreiten intensive Gerüche.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass Ewald Schurer von seinem Besuch in Landsham ein paar Forderungen nach Berlin mitnimmt, etwa die nach der Erhaltung der steuerlichen Begünstigung von Integrationsunternehmen, gehört zu seinem Geschäft. Regenbogen-Geschäftsführerin Seyband ist Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen Bayern und sagt ganz klar: "Die Abschaffung der siebenprozentigen Mehrwertsteuer für gemeinnützige Unternehmen würde uns das Genick brechen." Firmen wie Regenbogen bewältigen tagtäglich einen Spagat zwischen den knallharten Anforderungen des Marktes und dem Bemühen, Menschen mit einer seelischen Behinderung durch die für andere ganz normale Arbeitswelt zu führen. "Wir brauchen einfach ein paar Mitarbeiter mehr als vergleichbare Firmen ohne integrativen Ansatz, und das kostet." Weil es natürlich vorkommen könne, dass sich beim Betriebsleiter am Morgen plötzlich drei Mann krank melden. "Die Kollegen fangen das auf, sie wissen, wie das ist, und alle hoffen, dass die Betroffenen es am nächsten Tag trotz ihrer Depression schaffen, aus dem Bett aufzustehen." Höchste Zuverlässigkeit und Qualität müssten trotzdem zum Anspruch eines Unternehmens gehören. "Die Entschuldigung, dass unsere Mitarbeiter vielleicht mal nicht so gut drauf sind, lassen wir nicht gelten." Wenn mal etwas nicht funktioniere, dann sei das Sache der Betriebsleitung, nicht der Angestellten. Schließlich sei man abgesehen von der sozialen Aufgabe, der sich die Firma verschrieben habe, ein ganz normales Unternehmen. "Wir schaffen einen volkswirtschaftlichen Mehrwert. Von jedem Euro, das in ein Integrationsunternehmen geht, das belegen Studien, fließen 1,10 Euro an die Gesellschaft zurück."

1 Euro und zehn Cent

Volkswirtschaftliche Berechnungen besagen, dass von jedem Euro, der in ein Integrationsunternehmen investiert wird, 1 Euro und zehn Cent in die Volkswirtschaft zurückfließen. Die etwa 800 Integrationsfirmen in Deutschland tragen so mehrere 100 Millionen im Jahr zur gesellschaftlichen Wertschöpfung bei, wie zur Jahrestagung der Integrationsfirmen im Juni festgestellt wurde. Diese Unternehmen haben in 30 Jahren mehr als 23 000 Arbeitsplätze geschaffen. Mehr als 11 000 Schwerbehinderte erhalten die Möglichkeit, am Arbeitsleben Teil zu haben. In der Regenbogen Arbeit GmbH leiden knapp 60 Prozent der 160 Mitarbeiter an einer seelischen Behinderung.

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