Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 51:Wenn es eine Patientin nicht schafft

Auf der Intensivstation geschieht alles gleichzeitig: Neuzugänge, Dokumentationen, Reanimationen, ein Todesfall. Wie ist das zu bewältigen?

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Es war in einer Nachtschicht vor einigen Wochen, als ich am Bett einer meiner Patientinnen stand, um ihr eine Beatmungsmaske aufzusetzen. Plötzlich kollabierte die Frau in meinen Armen. "Notfall!", rief ich. Eine Kollegin, die ich kurz zuvor gebeten hatte, die Ärztin zu rufen, weil meine Patientin über Bauchschmerzen klagte, lief noch einmal los zur Ärztin. Währenddessen kam ein Kollege mit dem Reanimationsbrett ins Patientenzimmer. Eine zweite Kollegin und ich fingen sofort mit der Reanimation an - sie drückte auf den Brustkorb, ich den Beatmungsbeutel. Dann kam jene Kollegin, die zur Ärztin gelaufen war, zurück und brachte den Reanimationswagen mit. Wenig später schaute auch die fünfte aus unserem Pflegeteam in dieser Nacht zu uns. Braucht ihr noch Hilfe?

Während wir und die Ärzte uns berieten, wie es mit meiner Patientin weitergehen sollte, kam ein Anruf der Rettungsleitstelle: laufende Reanimation, Ankunftszeit in zehn Minuten. Unsere Schichtleitung bat die Kollegin der Anästhesie, diesen Fall zunächst zu übernehmen, da wir immer noch an meine Patientin gebunden waren.

Bei einer Reanimation ist es wichtig, den Überblick über alle notwendigen Maßnahmen zu behalten. Dazu gehört das Vorbereiten der Intubation, das Heranbringen weiterer Geräte, das Aufziehen sowie Verabreichen der Medikamente und die Dokumentation. Das alles zu koordinieren ist oft Aufgabe der Pflege. Bei meiner Patientin war ich dafür zuständig. So fiel es auch mir zu, meine Kollegin bei ihrer Herzdruckmassage genau zu beobachten, um sofort erste Anzeichen von Erschöpfung zu bemerken. Irgendwann lässt die Kraft nach, egal wie sehr man sich anstrengt. Durch die FFP2-Masken, die wir tragen, kommt es dazu schneller als zu Zeiten ohne Masken. Und so koordinierte ich den Wechsel, durch den die Herzdruckmassage mein Kollege übernahm, der zuvor das Reanimationsbrett gebracht hatte. Trotz unser aller Bemühen hat es meine Patientin leider nicht geschafft.

Die Nacht war noch lang, es war nicht einmal Mitternacht. Neben der externen Reanimation, die dann in unsere Zuständigkeit wechselte, kamen bis zum Schichtende weitere drei Patienten zu uns. Das ist viel - wir waren zu fünft im Dienst, jedem von uns waren ohnehin zwei Patienten zugeteilt. Häufig gibt es Nächte, in denen es zu keinem einzigen Neuzugang kommt. Und nun waren es gleich vier. Einer davon war ein isolationspflichtiger Covid-Patient, bei einem anderen musste sogar ein chirurgischer Eingriff am Bett durchgeführt werden. Das alles war nicht nur anstrengend, sondern auch zeitlich aufwendig.

Wenn so viel los ist, vieles davon beinahe gleichzeitig passiert und zwar in einer Nachtschicht, in der weniger Personal im Einsatz ist als tagsüber, dann ist jeder Einzelne von uns extrem gefordert. Wir können die Lage nur beherrschen und unsere Patienten weiterhin bestmöglich versorgen, indem wir aufeinander achten und uns helfen.

Als ich nach Dienstschluss die Klinik verließ, fühlte ich mich erleichtert und geplättet zugleich. Ein Mensch war gestorben. In dem Tohuwabohu blieb keine Zeit, darüber groß nachzudenken. Aber allen verblieben Patienten ging es gut - weil wir als Team funktioniert haben.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 37-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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