SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 45:Ein Wermutstropfen auf der Intensiv

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An einer Wand in der Stationsküche der Ebersberger Intensivstation hängen alle Danksagungen und Briefe ehemaliger Patienten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Was nach der Entlassung mit ihren Patienten geschieht, erfährt Pola Gülberg nicht - etwas, das die Pflegerin in vielen Fällen gerne wissen würde. Umso mehr freut sie sich, wenn Post der Betroffenen eintrifft, in der sie von ihrer weiteren Genesung berichten.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Es ist noch nicht lange her, da erreichte uns auf der Intensivstation eine E-Mail. Es war ein Foto angehängt, auf dem ein strahlend lachender Mann Mitte 50 mit einem Baby im Arm zu sehen war. "Wer ist denn das?", fragten wir uns. Es dauerte, bis wir den Mann wiedererkannten: Es war einer unserer ehemaligen Patienten, der einige Monate zuvor entlassen wurde. Auf dem Schoß sein Enkel.

Als er bei uns war, hatte er aufgrund seiner schweren Erkrankung sehr viel an Gewicht verloren: Sein Gesicht war eingefallen, er war nur noch Haut und Knochen. Er erholte sich. Dennoch war sein Äußeres immer noch gezeichnet von den Strapazen, die sein Körper bis dahin hinter sich hatte, als er uns verließ. Jetzt, Monate später, eine Dankesmail mit solch einem persönlichen Foto von diesem Patienten zu bekommen, auf dem er gesund und glücklich aussieht, sodass wir ihn kaum wiedererkannt haben, hat uns alle riesig gefreut.

Denn es ist einer der Wermutstropfen bei der Arbeit auf einer Intensivstation: Sobald die Patienten einen stabilen Zustand erreicht haben, werden sie auf Normalstationen verlegt - und wir bekommen normalerweise nicht mit, wie es mit ihrer Genesung weitergeht. Dabei ist das etwas, was uns natürlich interessiert! Gerade wenn Patienten sehr lange bei uns behandelt werden, erfahren wir auch viel über den Menschen, der da im Bett liegt - Beruf, Hobbies, Anekdoten aus dem Leben. Außerdem sprechen wir mit den Angehörigen. Wir wissen, wer die Ehefrau ist oder wie viele Kinder und Enkel jemand hat. Das schafft eine Bindung, die mit der Entlassung nicht einfach wieder verschwindet.

Klar machen wir unsere Arbeit genauso gewissenhaft auch wenn wir keine Kenntnis davon erlangen, was aus Patienten geworden ist. Die meisten verlassen uns ohnehin in einem Zustand, bei dem wir davon ausgehen, dass sie wieder völlig gesund werden. Bei manchen ist das aber eben nicht der Fall. Von solchen dann etwas zu erfahren, wie bei dem Mann mit dem Enkel auf dem Schoß, ist wie ein kleines Geschenk. Ich bin dankbar für diese Wertschätzung. Mir erleichtert es meinen Job, denn Rückmeldungen und Danksagungen bestärken mich in dem, was ich tue - warum ich es tue: Menschen helfen, sodass es ihnen wieder besser geht. Vielleicht sogar besser als vor ihrer Erkrankung.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Als der frisch gebackene Großvater bei uns noch Patient war, bat uns seine Familie, ihn von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass sein erstes Enkelkind unterwegs ist: Der Mann wünschte sich sehr, endlich Opa zu werden. Die Familie hatte die Hoffnung, dass ihm diese Aussicht Kraft schenkte. Sie haben sogar ein Ultraschallbild zusammen mit Familienfotos mitgebracht, die wir ihm regelmäßig zeigten.

Das Foto mit dem Enkel auf seinem Schoß ist nun Teil der großen Pinnwand in unserer Stationsküche. Dort hängen wir alle Dankeskarten und Briefe ehemaliger Patienten auf. Auch Todesanzeigen, in denen Angehörige uns als Team für unser Engagement danken, sind darunter zu finden. Jede Schicht beginnt und endet in der Stationsküche, die Wand ist nicht zu übersehen. Sie motiviert mich.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 37-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station .

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