Es ist schon eine Weile her, als eine Patientin von der Notaufnahme zu uns kam, die ich so schnell nicht vergessen werde. Sie trug eine Handtasche bei sich, eigentlich war es mehr ein kleiner Koffer. Bei vorerkrankten Patienten kommt es schon mal vor, dass sie bei sich zu Hause immer eine gepackte Reisetasche fürs Krankenhaus parat haben. Doch die Patientin nun – mit Argusaugen beobachtete sie ihre Handtasche und hielt sie umklammert. Aus der Notaufnahme bekamen wir die Info, dass dort niemand in die Tasche hineinsehen durfte. Weil die Frau nicht gut Deutsch sprach, konnte niemand sagen, was es damit auf sich hatte. Bei uns auf Intensivstation lüftete sich schließlich das Geheimnis: Gold- und Silbermünzen, ein mittlerer vierstelliger Betrag in Euro und viel Geld in einer anderen Währung. Da hätte ich meine Tasche auch bewacht wie ein Hund seinen Hof.
Eigentlich wird bereits in der Notaufnahme eine Bestandsaufnahme über die Habseligkeiten der Patienten gemacht. Es gibt ein Formular, auf dem alles dokumentiert wird – Hausschlüssel, Geldbeutel, Handy, Kleidung, Uhr, Ringe, alles eben. Das erledigen zwei Kollegen: einer notiert, der andere bezeugt, dass auch alles stimmt.
SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 151:Der Herr des Ringes
Pola Gülbergs Patient liegt im Sterben. Den Ring, den er trägt, soll eine seiner Töchter bekommen, um ihn an seinen einzigen Enkelsohn zu übergeben - ein altes Familienerbstück. Doch es kommt ganz anders.
Kommen die Patienten dann zu uns auf die Intensivstation, machen wir das gleiche Prozedere noch einmal. In der Notaufnahme ist der Betrieb meistens stressiger als bei uns – es ist schließlich die Notaufnahme. Da kann bei der Dokumentation von verhältnismäßig Unwichtigem auch mal was übersehen werden.
Wenn meine Patienten wach sind, dann gehe ich mit ihnen gemeinsam den Inhalt des Geldbeutels durch, während eine Kollegin alles notiert. Das ist mir lieber, denn ich fände es auch komisch, wenn eine fremde Person mein Portemonnaie durchforstet und ich nicht dabei bin. Ist dort nun eine größere Menge an Bargeld oder gibt es andere Wertgegenstände, dann biete ich an, die Sachen in unseren Safe zu legen. Oder ich bitte die Angehörigen, sie mit nach Hause zu nehmen. Denn wir können keine Garantie geben, dass nicht doch mal jemand in ein Patientenzimmer geht, obwohl er dort eigentlich nichts zu suchen hat. Ist der Patient dann gerade zum Beispiel beim Röntgen oder im MRT, dann gibt es leider Menschen, die bei einem offen herumliegenden Handy zugreifen.
Meine Patientin nun wurde etwas weniger besorgt um ihre Tasche, als sie eine Kollegin in ihrer Muttersprache über unser Vorhaben mit dem Inhalt aufklärte. Später erzählte die Kollegin mir, dass es in dem Land, aus dem die Frau stammt, gerade für ältere Menschen ganz normal sei, mehr oder weniger das gesamte Hab und Gut in einer Tasche ständig bei sich zu haben. Das war mir bis dahin gar nicht klar gewesen. Weil wir bei höheren Geldbeträgen dazu verpflichtet sind, die Klinikleitung zu informieren, haben wir das in diesem Fall auch getan. Und die Wertsachen sicherheitshalber in den Haussafe gesperrt.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.