Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 62:Wenn alle krank sind

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Weil die Corona-Infektionslage auch beim Klinikpersonal extrem hoch ist, leidet die Patientenversorgung. Pola Gülberg und ihre Kollegen beunruhigt das.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor kurzem meldete das Erdinger Klinikum 140 Krankmeldungen pro Tag - fast dreimal so viel wie für gewöhnlich. Einige Stationen hätten unter diesen Umständen den Rand der Handlungsfähigkeit erreicht. So drastisch ist die Lage in der Ebersberger Kreisklinik zum Glück nicht. Jedoch geschehen auch bei uns Vorgänge, die uns Pflegekräfte beunruhigen. Erst kürzlich hatten wir einen solchen Fall.

Bei der Übergabe zu Beginn meines Nachtdienstes habe ich erfahren, dass die Rettungsleitstelle für 16 Uhr einen Patienten aus München angekündigt hatte. Wegen Keimen war er isolationspflichtig. Nun, vier Stunden später, war er immer noch nicht da. Gegen 22 Uhr strichen wir ihn von unserer Tafel. Denn wenn er bis jetzt nicht gekommen war, würde er es wohl auch nicht mehr, so nahmen wir an.

Kurze Zeit später meldete die Rettungsleitstelle erneut einen Patienten an. Es war derselbe. Um halb eins war er schließlich bei uns, beinahe neun Stunden nach der ersten Ankündigung.

Wo war der Patient über diese lange Zeit hinweg?

Es gibt darauf nur zwei mögliche Antworten: In der Ebersberger Notaufnahme gab es keine Ressourcen für eine isolierte Behandlung, genauso wenig wie im Umland. Das bedeutet, dass der Rettungswagen mit dem Mann entweder umhergefahren ist und andere Notaufnahmen erfolglos abgeklappert hat oder dass er vor unserer Klinik gewartet hat, bis ein separater Behandlungsraum und Personal frei waren.

Der Patient war in keinem lebensbedrohlichen Zustand. Denn dann hätte die Rettungsleitstelle immer noch die Möglichkeit, eine Klinik zwangszubelegen. Aber eine schöne Erfahrung war es für den Mann sicherlich trotzdem nicht.

Der Krankenstand beim Klinikpersonal ist nicht überall so hoch wie in Erding. Dennoch hoch genug, sodass Patienten Umstände in Kauf nehmen müssen, die es nicht geben sollte - wenngleich die allgemeine Notfallversorgung sichergestellt ist. Aber auch bei uns muss sich die Klinik immer öfter bei der Leitstelle abmelden, weil wir keine Kapazitäten mehr für neue Patienten haben.

Ich kenne Pflegekräfte aus anderen Kliniken, die von der Geschäftsführung gebeten wurden, möglichst auf Zusammenkünfte unter Kollegen zu verzichten. So soll das Risiko gesenkt werden, dass im Falle einer Corona-Infektion nicht mehrere Teammitglieder zur selben Zeit ausfallen.

Wir alle in den Kliniken verzichten auf so vieles, um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten. Während die meisten anderen nicht einmal mehr die kleinsten Einschränkungen freiwillig in Kauf nehmen, um die Lage nicht so eskalieren zu lassen, wie es momentan der Fall ist. Es sind nicht nur unsere Patienten, die krank sind. Wir Klinikmitarbeiter sind es ebenso. Aber das scheint die wenigsten zu kümmern.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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