SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 160:Private Medizinratgeberin

Lesezeit: 2 Min.

Bevor Pola Gülberg einen Ratschlag gibt, fragt sie viel nach: Symptome? Bisherige Therapie? Diagnose der Ärzte? (Foto: Yuri Arcurs/IMAGO/Zoonar II)

Pola Gülberg ist es gewohnt, dass in ihrem persönlichen Umfeld Fragen zu Verletzungen oder Krankheiten aufkommen. Sie freut sich über das Vertrauen und versucht zu helfen. Doch manchmal geht das auch nach hinten los.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Es liegt schon viele Jahre zurück, als ich mit meiner Jugendgruppe vom Roten Kreuz auf dem Rückweg von einem Ausflug war und mich eine junge Frau aus der Gruppe ansprach: „Du bist doch Krankenschwester, oder?“ Das war ich, gerade frisch ausgelernt. Und so erzählte sie mir von einer Person aus ihrem nahen Umfeld, die einen Verkehrsunfall mit einem schweren Schädelhirntrauma überlebt hatte. Sie fragte mich nach meinen Erfahrungen – damals arbeitete ich in einer Reha-Einrichtung für neurologische Fälle –, ob Patienten mit solchen Verletzungen wieder ganz fit werden. Ich versuchte, ihr Mut zuzusprechen und sagte so etwas wie: „Du kannst es nie mit Sicherheit wissen – lange passiert fast gar nichts und nach einem halben Jahr machen die Patienten dann einen Riesen-Sprung und es geht zack-zack.“ Da blickte mich die Frau völlig entsetzt an. „Wie kannst du so etwas nur sagen?“, fragte sie und sprach danach kein Wort mehr mit mir.

Wenn man wie ich im Gesundheitswesen arbeitet, kommt man medizinischen Fragen aus dem privaten Umfeld gar nicht aus. Wahrscheinlich kennt das auch jeder Automechatroniker oder Friseur: Kannst du dir mal den Kostenvoranschlag meiner Werkstatt anschauen – wollen die mich über’s Ohr hauen? Kannst du dir mal meine Spitzen anschauen – warum sind die immer so trocken? Genau so werden auch wir Pflegekräfte immer wieder um Rat gefragt.

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Protokoll: Johanna Feckl

Nervig finde ich so etwas überhaupt nicht, im Gegenteil: Ich fühle mich geehrt, dass ich um meine fachliche Einschätzung gebeten werde. Doch dieses eine Erlebnis mit der Jugend-Rot-Kreuz-Gruppe, das hat mich gelehrt: Obacht bei solchen Fragen, denn manchmal kann man sich mit der Antwort Mühe geben, wie man will – beim Gegenüber kommt trotzdem etwas ganz anderes an.

In diesem Fall hörte die Frau wohl so etwas wie: „Es dauert sechs Monate, mindestens“, also eine irrsinnig lange Zeit. Meine Antwort muss in ihren Ohren schrecklich geklungen haben. Im Nachhinein konnte ich das verstehen, und es tat mir unglaublich leid, dass ich ihr damit noch mehr Kummer bereitet hatte.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Heute reagiere ich anders. Zunächst überlege ich mir sehr genau, was und wie ich antworte – wie gut ich mein Gegenüber kenne, wie viel ich ihm zumuten kann. Ich frage viel nach: Welche Symptome liegen vor? Was wurde bisher gemacht? Was haben die Ärzte gesagt? Manchmal kommt es vor, dass ich dann trotzdem sage: Ich weiß es leider nicht. Mein Kenntnisstand ist sicherlich nicht der schlechteste. Aber lieber sage ich einmal mehr, dass ich mich in dem Fall nicht so gut auskenne, bevor ich einen Schmarrn erzähle.

Bei der Frau vom Ausflug wäre es vermutlich besser gewesen, ich hätte durch Nachfragen versucht, den Fokus auf sie zu richten: Wie hast du denn von dem Unfall erfahren? Wie geht es dir damit? Hast du die Person schon im Krankenhaus besucht? Denn in vielen Fällen ist es einfach das: Die Leute brauchen gar keinen Ratschlag, sondern jemanden zum Reden.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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