Mein Patient wirkte erschöpft und kraftlos. „Der braucht was zu trinken“, sagten seine Angehörigen – und schon griff einer von ihnen zu dem Becher neben seinem Bett. „Stopp, stopp, das geht nicht“, sagte ich und ging dazwischen. Trinken ist keine Kleinigkeit, da kann in bestimmten Fällen viel schiefgehen – und mein Patient war noch viel zu schwach, um selbständig zu trinken.
Neben seiner Hauptdiagnose hatten die Ärzte bei ihm eine leichte Lungenentzündung festgestellt. Schon wieder, er war deswegen bereits ein paar Mal bei uns. Dieses Mal fiel mir auf, dass er immer wieder hustete. Das kann ein Anzeichen für Verschlucken sein. Bestimmt hat sich jeder schon mal an seinem eigenen Speichel verschluckt, das passiert und ist in der Regel nicht weiter schlimm. Geschieht es aber regelmäßig, kann die Ursache dafür eine Schluckstörung sein – viele hochaltrige Menschen wie mein Patient sind davon betroffen.
Später, als der erste Schluckversuch geglückt war, setzten wir den Mann zum Trinken immer auf. Denn allein die Schwerkraft hilft, dass die Flüssigkeit die richtige Röhre hinab nimmt, also die Speiseröhre und nicht die Luftröhre. Im Liegen ist das viel schwieriger – bei einer Schluckstörung umso mehr.
Weil die Angehörigen dem Mann ohne vorherige Rücksprache mit uns zu trinken geben wollten, machte sich ein Verdacht in mir breit. Konnte es sein, dass sie ihn dazu zu Hause nicht aufsetzten – er sich deshalb so oft daran verschluckte, dass er nun zum wiederholten Male eine Lungenentzündung bekommen hat? Denn wenn zu viel Flüssigkeit in der Lunge landet, ist es nicht mehr weit bis zu einer Entzündung.
Also fragte ich die Angehörigen, mit Bedacht, denn ich wollte ihnen auf keinen Fall einen Vorwurf machen. Jemanden zu Hause zu pflegen ist kräftezehrend, in vielen Fällen gehen die Pflegenden noch arbeiten und die Versorgung geschieht zusätzlich. Da kann man nicht alles wissen.
„Ne, ne, der kann schon im Liegen trinken“, bekam ich als Antwort. „Aber verschluckt er sich denn dann gar nicht?“, fragte ich weiter nach. Ich sagte dazu, dass uns genau das vermehrt aufgefallen war und wir gute Erfahrungen damit gemacht hätten, wenn wir ihn zum Trinken aufsetzten. „Ja, doch, das passiert – aber er hustet ja, und wenn er hustet, ist alles gut“, sagten die Angehörigen.
Aber das stimmte nicht. Egal, wie ich versuchte, es ihnen zu erklären – ich drang nicht zu ihnen durch. Manchmal hole ich in solchen Situationen einen Arzt hinzu. Der erklärt zwar genau das gleiche, aber manche Angehörigen glauben Dinge erst dann. Diesmal war es leider nicht so. Also blieb mir nur eines: dafür zu sorgen, dass ich meinen Patienten optimal versorge, den Angehörigen Dinge vorzuleben und zu hoffen, dass das doch noch Früchte tragen wird.
Dass ich bei pflegenden Angehörigen so auf Granit stoße, passiert äußerst selten. Zum Glück sind die meisten sehr dankbar, wenn ich ihnen etwas erkläre.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.