Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 81:Wenn der Patientenwille egal wird

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Manchmal können Pola Gülbergs Patienten nicht mehr für sich selbst entscheiden. Liegt weder eine Patientenverfügung noch eine Vorsorgevollmacht vor, dann bestellt das Amtsgericht einen gesetzlichen Betreuer. Doch das kann problematisch werden.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor einer Weile versorgte ich einen älteren Mann, er hatte Schizophrenie, 2017 wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Die medizinische Behandlung lehnte er weitestgehend ab - es war also vor fünf Jahren schon klar, dass sich sein Zustand verschlechtern und er irgendwann bei uns auf der Intensivstation landen würde. Bei uns verweigerte er das Essen, er war zurückgezogen, hat sich seine Zugänge immer wieder gezogen, sodass uns letztlich keine andere Wahl blieb, als ihn zu fixieren - egal was wir machen wollten, immer sagte er "Nein, nein, nein - weg, weg, weg". Dass Patienten mit Schizophrenie schwer zugänglich sind, ist üblich. Bei dem Mann jedoch lag das Problem tiefer.

Wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen über seine medizinische Versorgung zu treffen, dann bestellt das Amtsgericht einen gesetzlichen Betreuer, der diese Aufgabe übernimmt. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn jemand im Koma liegt oder aber wie bei meinem Patienten, der wegen seiner Schizophrenie nicht das volle Ausmaß seines gesundheitlichen Zustands begreift.

In der Regel lässt sich der Einsatz eines solchen Betreuers umgehen: Wenn man zuvor im Rahmen einer Patientenverfügung geregelt hat, welche Maßnahmen ergriffen werden dürfen, und durch eine Vorsorgevollmacht eine Person dazu befähigt, für ihn entscheiden zu dürfen. Häufig erlebe ich es jedoch, dass diese Vorkehrungen nicht getroffen worden sind.

Der Mann mit dem Lungenkrebs nun, wir alle hatten aufgrund seines Verhaltens den Eindruck, er wolle keine medizinische Behandlung. Und schließlich hatte er auch fünf Jahre zuvor eine Therapie abgelehnt. Doch weil er einen gesetzlichen Betreuer hatte, war das egal - der Betreuer musste entscheiden. Doch der war nicht zu erreichen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als alles dafür zu tun, dass sich der Zustand des Mannes nicht weiter verschlechterte - trotz seines erkennbaren Widerwillens. Das Gesetz lässt keine andere Möglichkeit zu.

Schön war das nicht, ich fragte mich: Wo soll das noch würdevoll sein?

Nach fünf Tagen konnten die Ärzte mit dem Betreuer sprechen. Danach war klar: Wenn der Patient Maßnahmen ablehnt, dann sollten wir danach handeln. Es war gut, dass wir eine klare Ansage hatten. Das ist nicht immer so. Nicht gut war jedoch, dass erst fünf Tage vergehen mussten - Zeit, in der wir entgegen des Patientenwillens handeln mussten, und auch Zeit, in der mehr personelle Ressourcen gebunden waren als es hätte sein müssen.

Ich wünschte mir, mehr Menschen würden im Vorfeld alles regeln. Eine gesetzliche Betreuung wäre so wohl nur noch in Ausnahmen notwendig. Dann wäre es aber wichtig, dass die Betreuer immer erreichbar sind. Und für Fälle, in denen sie es nicht sind, eine Vertretung benennen.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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