Es gibt Patienten, die nennen wir im Fachjargon Noncompliance-Patienten. Gemeint ist damit, dass der Betroffene seine Krankheit nicht einsieht. Dementsprechend macht er bei seiner medizinischen Behandlung nicht richtig mit, indem er zum Bespiel einzelne Verhaltensanweisungen verweigert. Für uns Pflegekräfte und auch für die Ärzte heißt es dann: Deeskalieren.
Ein typischer Fall, der in diese Kategorie fällt, ist ein Herzinfarkt-Patient. In aller Regel muss so jemand in unser Herzkatheter-Labor, wo die betroffenen Blutgefäße wieder geweitet, Verkalkungen entfernt oder Stents gesetzt werden - alles mit dem Ziel, dass die Durchblutung wieder reibungslos funktioniert. Danach kommen einige von ihnen zu uns auf die Intensivstation.
Vor allem, wenn der Eingriff im Herzkatheter-Labor über die Leiste erfolgt ist, dann bedeutet das mindestens sechs Stunden absolute Bettruhe, das Bein darf nicht abgeknickt werden. Außerdem müssen alle unserer Infarkt-Patienten mindestens 24 Stunden am Monitor überwacht werden.
SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 71:Wann wird geschockt?
Pola Gülberg schaut leidenschaftlich gerne Krankenhaus-Serien - aber nur, wenn sie einen bestimmten Test bestehen. Denn dann bieten sie neben der Unterhaltung sogar einen Lerneffekt.
Bei uns angekommen spüren die meisten wenn überhaupt nur noch ein leichtes Brennen oder Ziepen. Aber davor hatten viele Todesängste durchgestanden, weil sie keine Luft mehr bekommen und starke Schmerzen hatten. Dadurch wähnen sich nun einige in Sicherheit! Aber das ist ein Trugschluss.
Hält sich der Patient nicht an Bettruhe, Monitorüberwachung und alle übrigen Anweisungen der Ärzte, können Komplikationen wie hoher Blutverlust oder auch ein erneuter Infarkt auftreten.
Leider erlebe ich es immer wieder, dass Patienten trotz ärztlicher Aufklärung völlig uneinsichtig bleiben. "Ach, das war ja alles nichts!" "Das ist Freiheitsentzug!" "Ich will jetzt aber aufstehen!"
Meine deeskalierende Methode besteht dann aus Verständnis und Aufklärung. Ich kann ja durchaus nachvollziehen, dass man nicht zehn Stunden lang herumliegen möchte. Das sage ich auch so und erkläre nochmals, warum die Therapiemaßnahmen dennoch so zwingend notwendig sind - und warum alles andere im Zweifel lebensbedrohlich enden kann.
Wenn das auch nicht hilft, bitte ich den behandelnden Arzt hinzu. Manch einer bleibt jedoch selbst dann beratungsresistent. Dann bleibt nur noch die Möglichkeit, zu dokumentieren, dass der Patient ausdrücklich gegen ärztlichen Rat handelt.
In den Fällen, in denen alles gut ausgeht, fühlen sich die Patienten meistens bestärkt. Denn sie hätten ja von Anfang an gewusst, dass nichts geschehen wird. Ich hingegen bin einfach nur erleichtert und sage: "Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist - denn das habe ich auch schon anders erlebt."
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.