SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 162:Plötzlich ein Engel – dank eines Pflasters

Lesezeit: 2 Min.

Auf der Normalstation eines Krankenhauses ist es in der Regel kein Problem, dass die Patienten mal raus zum Rauchen gehen. Auf einer Intensivstation jedoch schon. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Ein Patient von Pola Gülberg ist unruhig, schwitzt, möchte ständig aufstehen und wirkt aggressiv. Da hat die Pflegerin eine Idee: Kann es sein, dass der Mann Raucher ist und Entzugssymptome hat?

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Mein Patient hatte eine leichte Narkose – es war wichtig, dass er flach und ruhig lag, denn nur so konnte das Medikament, das bei seiner Behandlung notwendig war, vollständig wirken. Als sich sein Zustand immer weiter besserte, reduzierten wir die Narkose, sodass der Mann wieder aufwachen konnte. Und auf einmal wurde es richtig unangenehm: Mein Patient war nervös, schwitzig, wollte ständig aufstehen, obwohl er noch an diversen Schläuchen und Kabeln hing, und er war auch ganz schön fahrig mir gegenüber. Als er mir dann sagte, dass er rauchen gehen möchte, war mir alles klar: Er hatte Entzugserscheinungen.

Auf Normalstation ist es in der Regel kein Problem, dass Patienten mal rausgehen, um zu rauchen. Vielleicht müssen sie vor einem Eingriff mal ein paar Stunden nüchtern bleiben, das heißt, sie dürfen auch nicht rauchen. Denn das würde ebenso wie Essen und zuckerhaltige Getränke die Säurebildung im Magen erhöhen, genauso wie den Speichelfluss – der Körper arbeitet, das soll er während einer OP aber nicht. Doch die wenigsten haben mit einer solch kurzen Abstinenz ernsthafte Probleme.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 17
:"Möchten Sie vielleicht ein Bier?"

Eigentlich gibt es für frisch Operierte in der Kreisklinik Ebersberg keinen Alkohol. Manchmal aber ist er ein notwendiges Medikament.

Protokoll: Johanna Feckl

Wenn die Patienten dann aber bei uns auf der Intensiv sind, ist die Lage ein wenig anders. Die meisten Raucher können nicht einfach mal rausgehen, weil sie dazu viel zu instabil sind. Sind sie sediert, dämpft das auch Entzugserscheinungen. Doch wenn sie wach sind, kicken diese umso mehr – wenngleich nicht bei allen. Aber das reizbare und aggressive Verhalten meines Patienten war für einen Raucher nicht ungewöhnlich.

In solchen Fällen bieten wir Nikotinpflaster an. Die gibt es in unterschiedlichen Stärken, je nachdem, wie groß das Verlangen nach dem Rauchen ist. Damit bekommen wir immerhin die körperlichen Symptome des Entzugs in den Griff. Die psychischen, die oft jahrzehntelange Gewohnheit, die jetzt auf einmal wegfällt: Dagegen hilft auch das stärkste Pflaster nicht.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Es ist wichtig, dass die Patienten bei ihrer Anamnese ehrlich sind über ihren Suchtmittelkonsum – zum Beispiel auch, wenn es sich um Cannabis handelt. Denn wer regelmäßig kifft, braucht bei einer Narkose auf jeden Fall eine höhere Dosierung. Das trifft auf Zigarettenraucher zwar nicht zu, hier geht es eher um die Erklärung für plötzlich erhöhte Herzfrequenz, Unruhe, Schwitzen und Aggressivität: Das müssen wir immer im Hinterkopf haben. Sollte nichts dazu in der Patientenakte vermerkt sein, fragen wir entsprechend nach. Dabei ist Feingefühl gefragt. Ein direktes „Haben Sie Entzugserscheinungen?“ kommt nicht gut an – bei Entzug denken viele sofort an illegale Rauschmittel, und in einen solchen Topf wollen die wenigsten geworfen werden.

Nach Rücksprache mit der Ärztin habe ich meinem Patienten ein Nikotinpflaster angeboten und ihm erklärt, dass er wegen seines Zustands noch nicht aufstehen könne. Er nahm das Pflaster an – und kurze Zeit später war er der reinste Engel. Er war wie ausgewechselt und entschuldigte sich sogar für sein Verhalten zuvor.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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