SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 71:Wann wird geschockt?

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 71: Einen gemütlichen Fernsehabend mit einer Krankenhaus-Serie gibt es bei Pola Gülberg immer wieder mal.

Einen gemütlichen Fernsehabend mit einer Krankenhaus-Serie gibt es bei Pola Gülberg immer wieder mal.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Pola Gülberg schaut leidenschaftlich gerne Krankenhaus-Serien - aber nur, wenn sie einen bestimmten Test bestehen. Denn dann bieten sie neben der Unterhaltung sogar einen Lerneffekt.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Im Laufe einer jeden Serie à la "Schwarzwaldklinik", "Grey's Anatomy" oder "New Amsterdam" kommt es irgendwann zu dieser einen Szene: Notfall! Herzstillstand! Reanimation! Für mich beginnt dann der ultimative Test, ob die Serie gut oder schlecht ist: Die Kamera schwenkt auf den Herzmonitor - dort läuft eine Nulllinie von links nach rechts, untermalt wird dieses Bild von einem durchgehenden Pfeifton und wild durcheinander schreienden Ärzten und Pflegekräften. Dann kommt der Defibrillator zum Einsatz, der Patient wird geschockt - und sofort springt sein Oberkörper einen halben Meter in die Luft, nur um dann wieder effektvoll auf die Liege zu knallen.

Wenn die Reanimation so oder so ähnlich dargestellt wird, dann ist das ziemlicher Quatsch. Klar müssen alle Beteiligten in der Realität im Moment des Schockens zurücktreten, und der Patient zuckt wegen der verpassten Stromladung. Aber sein Brustkorb schnellt auf keinen Fall gen Decke hoch. Es gibt auch kein chaotisches Rumgebrülle, sondern nur kurze und klare Anweisungen von einer oder zwei Personen. Und defibrilliert wird niemals bei einer Nulllinie, sondern bei Kammerflimmern.

Serien rund um Medizin gibt es so einige, die einen haben mehr, die anderen weniger mit der Realität zu tun. Sie alle haben jedoch gemeinsam, dass die Pflege eine untergeordnete Rolle spielt. Aus filmischer Perspektive ist das verständlich: Wir Pflegekräfte sind 24 Stunden bei unseren Patienten, wir gestalten den Krankenhausalltag. Doch solche Serien ernähren sich von spektakulären Notfällen und Krankheiten - es soll ja spannend sein! Dafür eignet sich eine übliche Blutabnahme oder das Einstellen eines Beatmungsgeräts eben weniger gut.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 71: Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wenn eine Serie meinen Reanimationstest bestanden hat, schaue ich sie leidenschaftlich gerne - nicht nur der Unterhaltung wegen. Denn oft werden OPs sehr realistisch dargestellt. Die meisten Produktionen haben medizinisches Fachpersonal angestellt, das darauf achtet. Für mich hat das Fernsehschauen deshalb zusätzlich einen kleinen Lerneffekt.

Während meiner Arbeit auf der Intensiv kann ich nicht bei Operationen dabei sein. Solche Einblicke helfen aber, wie ich durch die OP-Hospitationen in meiner Fachweiterbildung gemerkt habe: Wenn ich weiß, was genau mit welchen Gerätschaften gemacht wird, bin ich bei der anschließenden Versorgung des Patienten besser sensibilisiert.

Mittlerweile sehe ich immer weniger Serien oder Filme, in denen eine Reanimation auf falsche Weise inszeniert wird. Zwar ist das alles Fiktion, aber ein medizinischer Fernsehabend sollte doch zumindest die grundlegenden Handgriffe korrekt abbilden. Da nehme ich es sehr genau: Schocken bei einer Nulllinie, das macht die beste Serie kaputt!

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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