Wenn ich zu einem Patienten so etwas sage wie "Mensch, Sie sind doch noch so jung", dann blicke ich nicht selten in ein irritiertes Gesicht. Jung? Ein 55-Jähriger? Aber ja, bei uns auf der Ebersberger Intensivstation ist so jemand jung. Denn die meisten Patienten könnten für viele aus unserem Team die Großeltern sein. Manchmal jedoch haben wir auch einen Patienten, den selbst der 55-Jährige sofort als jung bezeichnen würde - so wie der 17-Jährige, der mit extremer Atemnot zu uns kam.
Als ich von seinem Alter erfuhr, musste ich schlucken. Wir haben zwar immer wieder mal solch junge Patienten - zur Überwachung bei einer Vergiftung durch Tabletten, Alkohol oder andere Drogen. Bei diesem Patienten war das anders, denn sein schlechter Zustand war nicht selbst verschuldet. Solche Patienten berühren mich stärker. Zum einen sind sie mir näher, entweder an meinem eigenen Alter oder an dem meines Kindes. Zum anderen können sie nichts für ihre aktuelle Lage.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 58:"Will der uns verarschen?"
Ein Patient von Pola Gülberg kommt mit starkem Unterzucker ins Krankenhaus. Er spricht eine Sprache, die niemand versteht - und reagiert weder auf Englisch noch auf Französisch, obwohl er das normalerweise tut.
Während der Aufnahme hat unser Patient nur wenig geredet, er bekam nicht ausreichend Luft, um mehr zu sprechen. Mir ist vor allem sein Blick in Erinnerung geblieben, seine riesigen Augen, mit denen er uns angeschaut hat. Ich glaube, dass er unglaubliche Angst hatte. In seinem Alter haben die wenigsten eine Krankenhauserfahrung gemacht, erst recht nicht auf einer Intensivstation - da macht es natürlich Angst, wenn man auf einmal inmitten eines solchen Szenarios steckt.
Mit 17 Jahren hätte unser Patient auch in einer Kinderklinik versorgt werden können. Aber die nächstgelegenen sind mindestens eine halbstündige Fahrt mit dem Rettungswagen entfernt. Deshalb findet die Erstversorgung selbst von kleineren Kindern häufig in regulären Kliniken wie der unseren statt, sofern sie schneller zu erreichen sind.

Wie sich herausstellte, hatte unser Patient eine schlimme Lungenentzündung. Mit so etwas können wir grundsätzlich umgehen. Hätte sich sein Zustand weiter verschlechtert, wäre jedoch eine speziellere Therapie notwendig geworden, für die wir in Ebersberg nicht ausgestattet sind. Für diesen Fall hatten unsere Ärzte vorgesorgt und bereits eine Spezialklinik ausfindig gemacht, in die er dann verlegt werden hätte können.
So weit kam es zum Glück nicht. Der Patient sprach schnell auf unsere Therapie an, bereits nach wenigen Tagen konnte er uns wieder verlassen. Das ist die Kehrseite der Medaille, eine durchaus gute: Schlägt die Behandlung grundsätzlich an, dann legen junge Menschen häufig ein rasantes Tempo auf ihrem Weg zur Genesung zurück.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.