Mein Patient kam nach einem Herzstillstand zu uns auf die Intensiv. Er war zusammengebrochen, von jetzt auf gleich – wäre er nicht augenblicklich von Umstehenden reanimiert worden, noch bevor die Rettungskräfte eingetroffen sind, dann hätte er die Sache ziemlich sicher nicht überlebt. In solchen Fällen zählt jede Sekunde. Der Mann war noch vor Ort intubiert worden, in der Klinik wurde bestätigt, dass er mehrere gebrochene Rippen von der Laienreanimation davon getragen hat. Nichts Schlimmes: lieber ein paar Rippen gebrochen als tot sein. Jedenfalls konnten wir ihn an seinem fünften Tag bei uns während meines Dienstes für einige Zeit wach werden lassen, sogar einfache Ja-Nein-Fragen konnte er beantworten. Das war großartig!
Doch noch bevor seine Frau zu dem anberaumten Arztgespräch in die Klinik kam, musste ich ihn wieder sedieren. Er hatte sich erschöpft vom Wachsein, sein Körper brauchte jetzt Ruhe. Als mich der Arzt zum Gespräch mit seiner Frau hinzu bat, um von den tollen Fortschritten des Vormittags zu erzählen, da strahlte sie über das ganze Gesicht. „Und bleibt das jetzt so?“, fragte sie, „kann mein Mann also bald nach Hause? Wird er wieder ganz gesund?“
SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 145:Warten, bis man vor Sorge krank ist?
Als Pflegekraft darf Pola Gülberg Angehörigen zwar Auskunft über den Zustand eines Patienten geben, aber keine genauere medizinische Erklärung dazu - das ist Aufgabe der Ärzte. Manchmal führt das zu Situationen, in denen sie abwägen muss.
Solche Fragen hören wir oft von Angehörigen. Sie sind nachvollziehbar: Alle sind in großer Sorge, die Situation ist unsicher – da hilft etwas Greifbares, um sich daran festhalten zu können. „Es geht bergauf“ oder „es kann bald heimwärts gehen“ würde da dem größten Glück auf Erden gleichkommen, die ersehnte Erleichterung, als ob jemand den Stöpsel gezogen hätte und die Sorgen nun endlich den Abfluss hinabfließen können. Dennoch stellen solche Fragen für uns ein Problem dar. Denn wir vom Ärzte- und Pflegepersonal haben in den Taschen unserer Kittel oder der Kasacks zwar Stethoskop und Kuli einstecken, jedoch keine Glaskugel: Niemand von uns kann mit Sicherheit sagen, was passieren wird.
Es ist ein Balanceakt: Einerseits gilt es, Angehörigen nicht die Hoffnung zu nehmen – andererseits aber auch, ihnen keine falschen Hoffnungen zu geben. Meine Aufgabe ist in solchen Situationen im Grunde einfach: Ich bin fein raus. Wenn es um Diagnosen geht, Prognosen und Behandlungswege, das ist alles Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte – ich als Pflegekraft darf darüber keine Auskunft geben.
Die Frau meines Patienten war reflektiert, irgendwann sagte sie sogar selbst: „Ach, Sie können das ja alles gar nicht vorhersehen.“ Doch in solchen Momenten gibt es nicht nur die Vernunft, sondern auch die Emotion. Und die ließ sie dann ein weiteres Mal fragen: „Aber wir haben Grund zur Hoffnung, ja?“
Die Antwort vom Arzt war genau richtig: „Das, was wir heute gesehen haben, war positiv – aber wir müssen sehen, ob das so bleibt.“ Die Art und Weise des Arztes schien zu funktionieren: Die Frau nickte, fragte kein weiteres Mal nach und war schließlich in der Lage, mit dem Arzt Behandlungsoptionen zu besprechen.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.