Es ist schon eine Weile her, als ich von Kollegen einer anderen Station gebeten wurde, bei einem ihrer Patienten zu helfen. Das Problem: Der Mann sprach Portugiesisch - ich sollte dolmetschen. Ich kann zwar kein Portugiesisch, aber meine Mutter kommt aus Chile ,und so spreche ich neben Deutsch auch fließend Spanisch. Die beiden Sprachen sind sich ähnlich genug, sodass man einander mit ein bisschen Mühe schon versteht. Als ich dann ins Patientenzimmer kam, sah ich den wild gestikulierenden und aufgebrachten Mann und fragte erst einmal: "¿Qué pasa?" - "Was ist hier los?"
Der Patient war sichtlich erleichtert, dass ihn endlich jemand verstand. Ohne Punkt und Komma begann er sofort, mit kräftiger Stimme auf mich einzureden, immer begleitet mit ausschweifenden Gesten - der Mann sprach wirklich mit seinem ganzen Körper. Da habe ich ihn gleich eingebremst und erklärt, dass seine Bewegungen in Kombination mit seiner großen Statur und der lauten Stimme bedrohlich auf meine Kollegen wirken. Das konnte er zunächst gar nicht glauben: "Was, die Leute haben Angst vor mir?"
Ihm war nicht klar, dass seine Art der Kommunikation für Deutschland ungewöhnlich ist. Hier spricht man leiser, kaum jemand benutzt Gestik und wenn, dann eine eher unauffällige. Wer schon mal eine Weile im Ausland war, der weiß, dass jede Kultur anders kommuniziert. Die Lautstärke der Stimme, Mimik, Gestik, der Abstand zum Gesprächspartner - von Land zu Land gibt es Unterschiede.

Der Patient erklärte mir dann, dass er auf seinen Bettnachbarn aufmerksam machen wollte, der nachts taumelnd aufgestanden war und in seinem verwirrten Zustand das Badezimmer nicht gefunden hatte. Auf meine Kollegen hatte er jedoch aufgrund seiner hektischen Art einen aggressiven Eindruck gemacht. Und sie machten sich Sorgen, dass er dadurch bald eine Blutdruckhöhe erreicht haben würde, die im schlimmsten Falle einen Herzinfarkt auslösen könnten - denn der Mann war wegen Schmerzen in seiner Brust zur Beobachtung im Krankenhaus. Deshalb hatten sie ihm deutlich gemacht, dass er nicht aufstehen darf. Die Begründung dafür, dass er Bettruhe halten sollte, kam jedoch bei dem Mann nicht an. Stattdessen dachte er, meine Kollegen würden ihn festhalten - er war verzweifelt.
Am Ende wäre die Lage beinahe eskaliert. Und das, obwohl niemand etwas falsch gemacht hatte, weder der Patient noch meine Kollegen. Sie haben einander einfach nur nicht verstanden.
Dass eine Situation wegen Verständigungsprobleme tatsächlich mal aus dem Ruder gelaufen ist, habe ich noch nicht mitbekommen. Aber eigentlich ist das auch kein Wunder, denn neben Deutsch und Englisch sprechen viele aus der Klinik noch eine weitere Sprache. Da könnten wir glatt eine eigene kleine Dolmetscherschule aufmachen.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.