SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 179:Kickboxer wider Willen

Lesezeit: 2 Min.

Hände und Füße können bei sehr unruhigen Patienten fixiert werden - doch manchmal bekommen Pflegekräfte dennoch einen Tritt oder Schlag ab. (Foto: Hans-Jürgen Wiedl/dpa)

Ein Patient auf der Intensivstation wird immer unruhiger, muss an den Händen sogar fixiert werden. Trotzdem versucht er, wild um sich zu schlagen – und trifft schließlich eine Kollegin von Pola Gülberg mit einem kräftigen Tritt.

Protokoll von Johanna Feckl, Ebersberg

Als ich meine Kollegin „Ich brauch’ hier mal Hilfe!“ rufen hörte, standen nur wenige Sekunden später zwei weitere Pflegekräfte und ich am Bett ihres Patienten. Eigentlich war er an den Händen fixiert, weil er sich zuvor die Magensonde herausgerissen hatte. Nun wehrte er sich aber so stark gegen die Fixierung, dass sich eine der Handfesseln gelöst hatte. Meine Kollegin hielt die Hand deshalb fest, denn noch immer versuchte der Mann, wild um sich zu schlagen.

Während ich ihm noch mehr Beruhigungsmittel gab, sprach ich mit ruhiger Stimme zu ihm. „Bitte beruhigen Sie sich, Sie sind im Krankenhaus, alles ist gut.“ Doch es half nichts, stattdessen trat der Mann jetzt auch mit den Beinen um sich, wohl in der Hoffnung, so seine Hand aus dem eisernen Griff befreien zu können. Und da geschah es: Mit einem kräftigen Kick traf er meine Kollegin.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 127
:Aggressiv im Krankenbett

Einer von Pola Gülbergs Patienten hat versucht, ihre Kollegin zu beißen, dann schlug er um sich. Was hat dazu geführt, dass die Stimmung des Mannes von einer Sekunde auf die nächste so umschlagen konnte?

Protokoll: Johanna Feckl

Ein paar Tage zuvor kam der Patient nach einer Operation zu uns. Er war generell eher unruhig, das kommt schon mal vor. Bei ihm könnte ich mir vorstellen, dass er uns stressbedingt oft nicht so gut verstanden hat. Deutsch war nicht seine Muttersprache, er antwortete immer mit sehr kurzen und einfachen Worten. Am ruhigsten war er, wenn seine Frau zu Besuch war. Ein bekannter und nahestehender Mensch ist in solchen Situationen wahnsinnig hilfreich.

An jenem Tag ging es ihm zunehmend schlechter. Es stand im Raum, ob er ein weiteres Mal operiert werden muss. Wir vermuteten, dass er in ein Delir gerutscht ist, also einen akuten Verwirrtheitszustand: Er machte nicht den Eindruck, dass er wusste, wo er war oder wer wir sind. Wahrscheinlich verstand er uns jetzt überhaupt nicht mehr.

Aggressionen im Delir erleben wir häufig. Nicht immer schlagen die Patienten dann um sich, manchmal krallen sie sich auch in die Hand von uns Pflegekräften und lassen nicht mehr los. Man merkt, wie sie innerlich angespannt sind und sich das nach außen überträgt. Selbst habe ich noch nie einen Schlag oder Tritt abbekommen, zum Glück – bislang konnte ich jedes Mal rechtzeitig ausweichen.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Meiner Kollegin ging es erfreulicherweise gut. Der Brustkorb tat ihr etwas weh, dort hatte der Mann sie getroffen. Zunächst wollte sie nicht in die Notaufnahme, um sich untersuchen zu lassen. „Er konnte ja nichts dafür“, sagte sie. Doch so etwas ist wichtig: Durch Adrenalin schmerzen Verletzungen oft erst verzögert. Aber es hätte gut sein können, dass eine Rippe gebrochen war – das wäre dann ein Arbeitsunfall und muss dementsprechend dokumentiert werden.

Ich bin mittlerweile sehr vorsichtig, wenn so etwas passiert. Vor Jahren habe ich eine Kollegin, die einen Schlag abbekommen hat, in die Notaufnahme begleitet. Sie ist auf dem Weg dorthin zusammengeklappt – nicht wegen einer schlimmen Verletzung, sondern weil sie so geschockt war. Jeder reagiert anders, da gibt es kein Richtig oder Falsch. Nur unterschätzen sollte man solch ein Erlebnis nicht.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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